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Der Stundenzaehler

Der Stundenzaehler

Titel: Der Stundenzaehler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mitch Albom
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sagte er: »Hey, alles klar?«
    Sarah bewahrte diese Worte in ihrem Herzen wie ein Andenken. »Hey, alles klar?« Die ersten Worte, die er zu ihr gesprochen hatte. Von da an unterhielten sie sich jede Woche. Einmal bot Sarah ihm eine Packung Erdnussbuttercracker aus dem Regal an, und Ethan sagte: »Nee, ich möchte den Leuten hier nichts wegessen«, was sie sehr sympathisch und beeindruckend fand.
    Die Begegnung mit Ethan betrachtete Sarah nun als Fügung für ihr Leben, wie junge Mädchen das mit Jungen häufig tun. Fern der Schule mit ihren festgeschriebenen sozialen Regeln fühlte Sarah sich jetzt selbstsicherer, hielt sich aufrechter, trug seltener ihre üblichen T-Shirts mit Weltverbesserer-Slogans, sondern häufiger feminine Tops mit tiefem Ausschnitt. Wenn Ethan dann in Anspielung auf ihren Nachnamen zu ihr sagte: »Hübsches Outfit heute, Lemonade«, errötete sie.
    Nach einigen Wochen war Sarah kühn genug zu glauben, dass Ethan für sie dieselben Gefühle hegte wie sie für ihn …
    â€¦ und dass ihre Begegnung an diesem ungewöhnlichen Ort kein Zufall war. In Büchern wie Zadig von Voltaire oder Paolo Coelhos Alchimist hatte sie Schilderungen des Schicksals gefunden, und sie war zu der Überzeugung gelangt, dass die Fügung auch in ihrem Leben die Hand im Spiel hatte. In der Vorwoche hatte sie ihren ganzen Mut zusammengenommen und Ethan gefragt, ob er Lust hätte, mit ihr auszugehen, und er hatte gesagt: »Ja, warum nicht, wie wär’s mit Freitag?«
    Nun war dieser Freitag gekommen.
    Halb neun, halb neun!
    Sarah ermahnte sich, ruhig zu bleiben. Sie wusste, dass sie sich lieber nicht zu sehr in einen Jungen vergucken sollte. Aber Ethan war anders. Ethan veränderte die alten Muster ihres Lebens.
    In ihrem himbeerroten T-Shirt, der schwarzen Jeans und den hochhackigen Pumps war sie nur noch zwei Straßen von der großen Begegnung entfernt, als ihr Handy den Piepton für eine SMS von sich gab.
    Ihr Herz tat einen Sprung.
    Die Nachricht war von Ethan.

19
    Einem amerikanischen Wirtschaftsmagazin zufolge nimmt Victor Delamonte in der Rangordnung der reichsten Männer der Welt den vierzehnten Platz ein.
    In der Reportage ist ein altes Foto von Victor zu sehen, auf dem er das Kinn in die Hand stützt, um sein Doppelkinn zu kaschieren. Ein nachdenkliches Lächeln liegt auf seinem stets geröteten Gesicht. Es wird berichtet, der »zurückgezogen lebende Hedgefond-Mogul mit den buschigen Augenbrauen« sei ein Einzelkind, geboren in Frankreich. In den USA habe sich Delamonte aus dem Nichts ein Imperium aufgebaut – die klassische »Vom Tellerwäscher zum Millionär«-Geschichte.
    Doch da Victor grundsätzlich keine Interviews gibt, werden auch keine Einzelheiten aus seiner Vergangenheit bekannt, wie zum Beispiel diese: Als Victor neun Jahre alt war, kam sein Vater, ein Klempner, bei einer Schlägerei in einer Seemannstaverne ums Leben. Wenige Tage darauf lief Victors Mutter, nur mit einem beigen Nachthemd bekleidet, aus dem Haus und sprang von einer Brücke.
    Binnen einer einzigen Woche war Victor zur Vollwaise geworden.
    Man brachte ihn zu einem Schiff und schickte ihn zu einem Onkel nach Amerika. Alle glaubten, dass es dem Jungen besser gehen würde in einem Land, das ihn weniger an seine Vergangenheit erinnerte.
    Seine Finanzphilosophie führt Victor später auf genau diese Schiffsreise zurück, bei der sein gesamter Proviant – ein Sack mit drei Brotlaiben, vier Äpfeln und sechs Kartoffeln – von Rowdys ins Meer geworfen wurde. Damals hatte Victor die ganze Nacht geweint, doch später sagte er, er habe aus diesem Umstand etwas Wichtiges gelernt: dass es nämlich nur »Herzeleid« bringe, wenn man an Dingen festhalte.
    Deshalb mied er es künftig, Bindungen einzugehen, was ihm für seine Karriere sehr nützlich war.
    Als er in Brooklyn noch auf die Oberschule ging, kaufte Victor mit einem Betrag, den er durch Ferienjobs verdient hatte, zwei Flipperautomaten und stellte sie in Bars auf. Acht Monate später verkaufte er die Flipper und erstand vom Erlös drei Bonbonautomaten. Nach deren Verkauf erwarb er fünf Zigarettenautomaten. In diesem Stil machte Victor weiter, bis er sich nach seinem Schulabschluss durch Käufe und Verkäufe die gesamte Automatenfirma leisten konnte. Bald erstand er eine Tankstelle, was ihn auf Erdöl brachte, und binnen kurzem hatte er sich

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