Der Sturm aus dem Nichts
eine Zigarette aus dem Silberetui, das Avery ihm hinhielt. »Ich bin fast den ganzen Tag drüben beim Russell gewesen. Nicht sehr angenehm. Kleiner Vorgeschmack auf das, was noch kommt. Ich will nur hoffen, daß die Leute wissen, was sie tun.«
Avery murmelte. »Natürlich wissen sie das nicht. Ist genau, was Mark Twain vom Wetter sagt: Jeder redet darüber, aber keiner tut etwas dagegen.« Er wälzte sich auf die Seite und stellte das Kofferradio an, das unter seinem Bett stand. Es gab knackende Geräusche von sich, die von dem lärmenden Hin und Her auf dem Korridor übertönt wurden.
Maitland legte sich zurück und lauschte der Nachrichtensendung. BBC sendete noch; die halbstündlichen Nachrichten wechselten ab mit leichter Musik und endlosen Befehlen und Empfehlungen des Kriegsministeriums. Die Regierung schien stillschweigend vorauszusetzen, daß sich der Sturm bald legte, und daß die meisten Leute genügend Lebensmittelvorräte hatten, um in ihren Häusern zu überleben. Der größte Teil der Truppen war damit beschäftigt, Tunnels anzulegen, Lichtleitungen zu reparieren und die eigenen Installationen zu verstärken.
Avery stellte das Radio ab und sah nachdenklich auf die Armbanduhr.
»Was gibt's Neues?« fragte Maitland.
»Die London Bridge stürzt zusammen«, sagte Avery ernst. »Der Wind ist auf hundertachtzig. Es scheint, die Sache wird jetzt langsam unangenehm. Riesige Überschwemmungen an der Südküste, fast ganz Brighton ist weggespült. Überall breitet sich Chaos aus. Ich möchte nur wissen, wann endlich etwas getan wird.«
»Was soll man denn tun?«
Avery machte eine ungeduldige Geste. »Mein Gott, Sie wissen schon, was ich meine, Donald. Es ist einfach falsch, den Leuten zu sagen, sie sollen zu Hause bleiben und sich im Keller verkriechen. Wofür halten die das denn, für einen Zeppelinangriff? Bald werden die Verluste ins Unermeßliche steigen, ganz zu schweigen von Typhus- und Choleraepidemien.«
Maitland nickte. Er war derselben Ansicht, war aber zu müde um etwas zu sagen.
Ein vertrautes Klopfen ertönte an der Tür, und Andrew Symington steckte den Kopf herein. Er hatte ab acht Uhr frei und war durch den Tunnel über den St. James Park hergekommen, um in der Zivilkantine des Depots zu essen, bevor er ins Park Lane Hotel zu seiner Frau ging. Das Baby war noch immer nicht angekommen; sie warteten jetzt schon vierzehn Tage.
»Wir haben gerade über eure Nachrichtenmeldungen geschimpft«, sagte Avery. »Wollt ihr uns etwa vormachen, daß wir stille Sommertage verleben?«
»Was ist denn nun wirklich los, Andrew?« wollte Maitland wissen. »Ich bin vor einer halben Stunde gekommen, und ich habe das Gefühl, das Russell wäre nicht das einzige Gebäude das eingestürzt ist.«
»Stimmt«, sagte Symington. Sein Gesicht war abgespannt und eingefallen. Er zog nervös an seiner Zigarette. »Nach allem, was ich gehört habe, können wir uns darauf gefaßt machen, daß die Windstärke noch mindestens einige Tage lang zunimmt. Sie steigt bestimmt noch um fünfzig.«
Avery stieß einen Pfiff aus. »Über zweihundertunddreißig! Allmächtiger!« Er klopfte an die Holzwand, die sich unter dem Luftdruck ständig bewegte. »Glauben Sie, der Bau hier wird das aushalten?«
»Dieses Gebäude vermutlich ja, selbst wenn das Dach davonfliegt. Aber die meisten Wohnhäuser auf dem Lande fangen schon an, einzustürzen. Dächer fliegen fort, Wände fallen um, und nicht alle modernen Häuser haben Keller. Die Menschen haben nichts mehr zu essen und versuchen, sich zu den Hilfsstationen durchzuschlagen. Aber sie werden vom Sog aus ihren Türen gerissen und meilenweit weggetragen, noch ehe sie wissen, wie ihnen geschieht.« Symington schwieg. »Aus den USA und Europa erreichen uns nicht viele Meldungen, aber Sie können sich wohl vorstellen, wie's im Fernen Osten aussieht. Die Regierung hat die Kontrolle völlig verloren. Die Radiostationen senden nur noch schwache Erkennungssignale.«
Sie diskutierten noch eine halbe Stunde, dann ging Symington wieder, und Maitland schlief ein. Undeutlich nahm er noch wahr, daß Avery aufstand, um zum Dienst zu gehen, dann fiel er in einen tiefen, unruhigen Schlaf.
Sechs Stunden später saßen sie zum Befehlsempfang in einem Lehrsaal am anderen Ende des Depots. In der Ferne polterten mit dumpfem Geräusch Mauertrümmer auf das Straßenpflaster. Die Wände rumorten. Die Außenwand, die ans Treppenhaus grenzte, war eingestürzt und hatte die Treppe fortgeschleudert.
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