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Der Sturm aus dem Nichts

Der Sturm aus dem Nichts

Titel: Der Sturm aus dem Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James G. Ballard
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mehr Angst vor dem Eingeschlossensein in ihren Kellern als vor dem Wind hatten. Immer wieder über fortgeworfene Kleidungsstücke und Kochutensilien stolpernd, erreichten sie nach fünf Minuten die Station. Der Eingang war von der Armee mit schwerem Eisenbeton verschanzt worden. Zwei bewaffnete Polizisten prüften ihre Pässe und wiesen sie dann weiter zum Posten der Nachrichteneinheit im Fahrkartenschalter.
    Nach den dunklen, verlassenen Straßen schien der Bahnhof ein Meer von Licht, wo dicht gedrängt Tausende von Menschen mit ihren Bündeln hockten, sich mit Decken und Regenmänteln Nischen abgeteilt hatten, auf Primuskochern Essen zubereiteten und endlose Schlangen vor den Latrinen bildeten. Überall mußten sie über schlafende Gestalten und Gepäckstücke steigen und achtgeben, daß sie die Schläfer nicht weckten. Endlich sichteten sie die beiden Nachrichtensoldaten mit ihrem Funkgerät.
    Nach kurzer Zeit schon bekamen sie Verbindung mit dem Hammersmith-Kontrollpunkt und bestätigten, daß der Fahrer versprochen hatte, ein Transporter von Brandon Hall würde sie in etwa zwei Stunden abholen.
    Alle – jetzt stillgelegten – Rolltreppen waren dicht mit Menschen besetzt, die sich unter umgelegten Wolldecken eng aneinanderschmiegten, zu ihren Füßen Plastikbeutel mit angebissenen Brotlaiben, vereinzelten Konservendosen und verbeulten Thermosflaschen. An ihnen vorbei bahnte sich Maitlands Gruppe einen Weg zu den tiefer gelegenen Plattformen hinunter, wo wenigstens noch in gewisser Weise Ordnung herrschte. Frauen und Kindern war der eine Bahnsteig zugewiesen worden, Männern und Diensteinheiten der andere. Man hatte hölzerne Trennwände errichtet, und Polizisten kontrollierten Ein- und Ausgänge.
    Man führte sie auf den Bahnsteig. Sie sprangen auf die Schienen hinunter und marschierten los, auf die nächste Station, South Kensington zu. Elektrische Birnen erhellten ihren Weg.
    Auf dem Bahnsteig über ihnen lagerten dicht gedrängt Soldaten und andere Männer in Schlafsäcken.
    Als sie fast am Ende des Bahnsteigs angelangt waren, setzte sich vor ihnen plötzlich ein Mann auf und winkte Maitland zu. Er erkannte den Portier aus seinem Wohnblock.
    »Dr. Maitland! Einen Augenblick, Doktor!«
    Er lehnte sitzend an einem großen, teuren Koffer, den er wie Maitland vermutete, aus einer der verlassenen Wohnungen organisiert hatte.
    »Doktor, ich wollte Ihnen nur sagen, daß Mrs. Maitland noch immer da oben ist.«
    Maitland zuckte zusammen. »Was? Sind Sie sicher?« Als der Mann nickte, ballte er unwillkürlich die Fäuste. Er hatte Susans Tatkraft überschätzt. »Verrücktes Weib! Konnten Sie sie denn nicht mit hierherbringen?«
    »Ich hab's versucht, Doktor, ehrlich. Sie kam erst gestern. Sagte, sie wolle dableiben und zusehen, wie die Häuser einstürzten.«
    »Zusehen? Wo ist sie? Im Keller?«
    Der Portier schüttelte den Kopf. »Oben in der Wohnung. Die Fenster sind alle kaputt, und sie haust jetzt im Lift. Der ist im sechsten Stock stehengeblieben.«
    Maitland zögerte und sah über die Schulter zurück. Eben verschwanden seine beiden Begleiter um die erste Biegung des Tunnels. Sie würden Hammersmith in fünfundvierzig Minuten erreichen und wahrscheinlich über eine Stunde warten müssen ehe Brandon Hall sie abholen ließ.
    »Kommt man noch durch bis zum Lowndes Square?« fragte er den Portier. »Sind die Tunnels noch heil?«
    Der Portier nickte. »Nehmen Sie den durch die Sloane Street. Dann durch die Garage der Pakistanischen Botschaft, da kommen Sie direkt zu unserem Block. Aber passen Sie auf, Doktor, es kommen dauernd dicke Brocken 'runter.«
    Maitland stemmte sich auf den Bahnsteig hinauf und ging zurück zur Rolltreppe. Er erreichte den Eingang und drängte sich durch die Menge der Spätankömmlinge nach oben. Dann bückte er sich und betrat den Tunnel.
    An den Stellen, wo sich zwei Tunnel kreuzten, waren Wegweiser errichtet worden. Er wandte sich nach rechts, in die Sloane Street und lief mit gesenktem Kopf, die Hände tastend ausgestreckt, durch den unregelmäßigen Korridor aus geplatzten Zementsäcken. Kleine Lücken, durch die Tageslicht hereinfiel, ergänzten den schwachen Schein der Sturmlaternen. Windstöße fegten herein und bliesen weißen Zementstaub in die Luft.
    Zweihundert Yards weiter unten endete der Tunnel an einigen Stufen, die in einen kleinen, abgestützten Keller unter einem der Büroblocks führten. Hier hatte sich bis vor kurzem eine Erste-Hilfe-Station befunden. Hinter einem Boiler

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