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Der Sturm aus dem Nichts

Der Sturm aus dem Nichts

Titel: Der Sturm aus dem Nichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James G. Ballard
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die Stirnwunde. Etwas erfrischt lehnte er sich zurück und legte Patricia beruhigend die Hand aufs Knie.
    Er hob Luigi die Flasche entgegen und nahm dann einen tiefen Schluck von dem Wein.
    Luigi zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. Er zeigte mit dem Daumen über die Schulter. »Schiff? Sie?« Er sprach mit dem Dolmetscher.
    »Luigi will wissen, ob Sie zu Ihrem Schiff zurück wollen.«
    Lanyon nickte. »Will's versuchen. Wie können wir hinkommen – zum U-Boot-Bunker? Kennen Sie geschützte Wege?«
    Der Dolmetscher übersetzte, und die beiden Männer sahen sich einen Augenblick stumm an. Dann runzelte Luigi die Stirn und murmelte etwas.
    »Sehr starker Wind«, erklärte der Dolmetscher. »Man kann nicht Straßen benutzen. Große Hotels, Häuser, alles pfft!« Er schnippte mit den Fingern.
    Lanyon sah auf die Uhr. Es war halb drei. Bald würde es dunkel werden, und dann war vor dem nächsten Morgen nichts mehr zu machen.
    »Was ist mit den Sachen im Vorratsraum?« fragte er kurz. »Wie habt ihr die heraufgeschafft? Eben habt ihr doch auch etwas Schweres geschleppt.«
    Nun folgte eine längere Beratung, während der der Dolmetscher wiederholt die Achseln zuckte und Luigi offensichtlich versuchte, einen Entschluß zu fassen.
    Lanyon unterhielt sich über die Schulter mit Patricia. »Sie haben anscheinend Lagerhäuser und Geschäfte geplündert. Darauf steht vermutlich im Augenblick die Todesstrafe. Ich nehme an, sie fürchten, daß wir sie beim Militärgouverneur anzeigen.«
    Der andere Mann, älter, mit trockenem, welkem Gesicht und kurzgeschorenem Schädel, mischte sich jetzt ebenfalls ein und warf Luigi scharfe Worte zu. Luigi fingerte unruhig an seinem Gürtel herum. Endlich schien er zu einem Entschluß gekommen zu sein. Er stieß einen kurzen Satz heraus, und alle verstummten.
    Luigi lächelte Lanyon merklich erleichtert zu. Dann beugte er sich vor und zog mehrere zerknitterte Blätter Papier aus der Hüfttasche. Vorsichtig falteten seine großen Arbeiterhände die Seiten auseinander, und dann breitete er einen abgegriffenen Stadtplan auf dem Tisch aus. Grobe Bleistiftstriche teilten die Stadt in Zonen ein.
    Der Dolmetscher zog sich einen Stuhl herbei und zeigte auf die Karte. »Wir bringen Sie«, sagte er zu Lanyon, nachdem er sich flüsternd mit Luigi unterhalten hatte. »Aber, hm ... Sie wissen ja ...« Er deutete mit der Hand auf seine Augen.
    »Augen zu?« fragte Lanyon.
    »Si, Augen zu«, lächelte der Dolmetscher und radebrechte mühsam weiter: »Und Augen zu nachher, verstehen? Alle Augen zu.«
    Lanyon nickte.
     
    Im Gänsemarsch, Luigi und der Dolmetscher voraus, gefolgt von Lanyon mit Patricia, der dritte Mann am Schluß, betraten sie den Gang, der vom Kloster in die Stadt führte.
    Er war etwa eine Meile lang durch die weichen Kreidefelsen getrieben und verband das Kloster mit drei Kirchen.
    Lanyon bemerkte, wie sich die Luft im Gang allmählich zu regen begann. Windstöße fuhren an ihnen vorbei, und immer wieder wurde ihnen Sand ins Gesicht getrieben. Luigi blieb plötzlich stehen und machte die Lampe aus.
    »Welche Stärke hat der Wind jetzt?« fragte Lanyon den Dolmetscher, als sie sich kurz niederhockten, um auf Luigi zu warten, der sich auf einem Erkundungsgang befand.
    »Dreihundert Stundenkilometer«, erwiderte der Mann. »Vielleicht auch mehr.«
    Lanyon wies nach oben. »Und Genua? Sind die Menschen in Sicherheit?«
    Der Dolmetscher lachte kurz auf. Er breitete die Hände aus. »Alle pfft«, sagte er. »Vom Winde verweht. Alles umgeblasen. Luigi rettet Sachen – Radios, Musikboxen, Fernseher, Sie wissen ja. Alles für später.«
    Lanyon mußte über die Naivität des Mannes und seinen Optimismus lächeln. Der glaubte, daß, wenn der Wind sich legte, ihr Vorrat an Fernsehgeräten und Waschmaschinen leicht realisierbare Werte darstellte.
    Sie kamen in einer zusammengestürzten Kirche heraus. Man hatte durch die Trümmer einen Umgehungstunnel gegraben der von dünnen Pfosten abgestützt war. Jetzt blies der Wind durch den Tunnel. Sie hatten nunmehr die Stadtmitte erreicht und der Gang führte weiter in das Zentrum des modernen Genua. Der Boden war schlüpfrig, und zweimal rutschten Lanyon und Patricia aus.
    Schließlich fanden sie sich in einem Irrgarten verlassener Weinkeller. Alte Treppen, in der Mitte tief ausgetreten wanden sich empor zu Galerien. Luigi nahm seinen Plan zu Hilfe und beriet sich mit dem Dolmetscher.
    Lanyon gesellte sich zu ihnen. Er deutete zu der gewölbten Decke

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