Der Sturm
Dollar für Kosmetik ausgegeben.
Diese Woche nur drei Tüten Chips gegessen.
Ein oder zwei Jahre später veränderten sich die Listen und Debbie war stolz auf ihre Fähigkeit, sich jedes noch so kleine Detail zu merken. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass jemand von den anderen hier, weder diese arrogante Julia Frost noch Chris Bishop mit seinen ungeduldigen grauen Augen, ja nicht einmal Robert Frost diese Perfektion besaßen, derartige Listen aus dem Stegreif entwickeln zu können und jederzeit abrufbereit zu haben, ohne sich etwas aufschreiben zu müssen.
Fünfmal Mr Hill auf dem Handy angerufen und wieder aufgelegt.
Dreimal Katies Handtuch benutzt.
Sechsmal die Security informiert über illegale Partys.
Fünfzehn Seiten Aufsatz zum Thema Marcel Proust geschrieben.
Jake einen Pornofilm aus Benjamins Zimmer geschickt.
Mrs Forsters roten Schal gestohlen.
Sie war eben nicht so dumm, wie die anderen dachten. Sonst hätte sie ja auch nie die Aufnahmeprüfung für das Grace geschafft. Es gab unendlich viele Listen in ihrem Kopf. Und sie vergaß keine.
Im Apartment war es still. Debbie gefiel das. Katie, Julia und sogar Rose, die liebe, geduldige Rose, hatten immer etwas zu meckern. »Friss nicht so viel!«
»Lass meine Schokolade in Ruhe!«
»Bist du endlich fertig im Bad?«
Dabei waren sie ja alle so was von blöd. Katie vor allem, Rose und natürlich Julia.
Julia Sweety.
Julia Darling.
Julia forever.
Die und ihr Chris – sie machten immer einen auf Romeo und Julia, aber sosehr sie sich auch Mühe gaben, Debbie durchschaute ihr Theater. Große Liebe? Ha! Das war etwas für Teenies, die sich in die Hose machten, wenn irgendein Star ihnen aus einem Magazin entgegenstarrte. Und sie wusste sehr wohl, dass Julia keineswegs so sehr in Chris verliebt war, wie der glaubte. Und Chris war verdammt eifersüchtig.
Chris und Julia – das roch geradezu nach einem Drama. Debbie wartete schon seit Wochen, genauer gesagt seit der Sache am Ghost, dass der fünfte Aufzug begann. Bisher aber wartete sie vergeblich.
Sie griff wieder in die halb leere Chipstüte und zog eine Handvoll von diesen leckeren Paprikachips heraus. Oh mein Gott, die waren so lecker und knusprig – sie könnte sterben für dieses Zeug.
Aber – sterben würde sie vermutlich eher vor Langeweile an diesem Wochenende, das sie bei Grandma Martha verbringen sollte, während Chris und Julia...
Debbie seufzte. Manche Leute hatten einfach nur Glück in ihrem Leben.
Ihr Blick fiel auf die große Küchenuhr. Sie hätte längst unten in der Empfangshalle sein sollen. Rose, die vor einer Viertelstunde das Apartment verlassen hatte, hatte ihr eingeschärft, pünktlich zu sein. Irgendein bekloppter Sturm sollte aufziehen.
Debbie kicherte. Ein Sturm. Huh! Da hatte sie aber Angst.
Was, wenn sie jetzt einfach nicht ging? War doch keine schlechte Idee, die alle mal ein bisschen schmoren zu lassen.
Schließlich konnten sie nicht ohne sie fahren. Sie hatte ihren Anteil am Wagen bezahlt.
Debbie rappelte sich auf. Hier oben würden sie als Erstes nach ihr suchen. Am besten verzog sie sich ins Computer-Department. Sie hatte sich lange nicht mehr in ihren Lieblingsforen herumgetrieben. Und wer wusste es schon, vielleicht würde sie heute eine Lücke in Angela Finders Sicherheitsnetz finden. Irgendwo mussten sie liegen – die Geheimnisse ihrer Freunde. Und was erhält die Freundschaft besser als Geheimnisse?
Das CD im zweiten Untergeschoss war genauso leer wie die Gänge und Flure des Colleges. Debbie überlegte, ob sie wieder gehen sollte. Seit dem Tag im Mai, als Alex durchgedreht war, hielt sie sich nicht gerne allein hier unten auf.
Wieder griff die Hand in die Chipstüte.
Ach was. Sie hatte sich vorgenommen, die anderen schmoren zu lassen – also würde sie das auch durchziehen.
Sie nahm an einem der Arbeitstische Platz und schaltete den Computer an, an dem Angela Finder immer gearbeitet hatte. Und da Debbie sich gerne gruselte, stellte sie sich vor, dass Angela hier an ihrer Stelle saß. Nein, nicht lebendig – sondern als Tote. Nein, Untote, verbesserte sich Debbie. So nannte man schließlich die Geister von Verstorbenen, die keine Ruhe fanden. Und Angela konnte keine Ruhe finden, solange sie, Debbie, ihr hinterherspionierte. Debbie kicherte.
Nicht dass sie wirklich daran glaubte – ich bin doch kein Idiot – das war einer von Debbies Lieblingssprüchen – also, ich bin doch kein Idiot, aber...was war schlimm daran, abzutauchen in die Welt der
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