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Der Sturz aus dem Fenster

Der Sturz aus dem Fenster

Titel: Der Sturz aus dem Fenster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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war und die sah, wie Mr. Witherspoon sich mühte, nicht der Versuchung einer euphemistischen Ausdrucksweise zu erliegen, antwortete mit der gleichen Offenheit. »Es ist nicht unmöglich, aber sehr unwahrscheinlich. Er hätte das Fenster öffnen, auf den breiten Außensims klettern und dann springen oder sich hinunterfallen lassen müssen. So etwas tut man nur aus einem Impuls heraus, und er war kein impulsiver Mann.«
    »Woher wissen Sie, daß er nicht schon geraume Zeit mit Selbst-mordgedanken spielte?«
    »Ich glaube nicht, und Sie bestimmt auch nicht, daß er gestorben wäre, ohne eine Zeile zu hinterlassen und ohne die letzten Vorberei-tungen für sein neues Buch abzuschließen. Noch weniger kann ich mir vorstellen, daß er sich auf dem Campus einer Universität umgebracht hätte, wo er vorher so erbarmungslos auf Diskretion bedacht war. Er hätte gewußt, wieviel Klatsch und Fragerei die Folge gewesen wären, und ich glaube einfach nicht, daß er das gewollt hätte.
    Sie?«
    »Nein. Außerdem wirkte er auf mich auch nicht wie jemand, der Selbstmord begeht, es sei denn, er hätte eine tödliche Krankheit oder dergleichen gehabt, und ich nehme an, diese Möglichkeit kann man ausschließen?« Kate nickte. »Andererseits habe ich aber auch Schwierigkeiten, ihn mir als Mordopfer vorzustellen. Zweifellos 60

    langweilte und verdroß er viele Menschen, aber wenn das gleich zu Mord führte, könnten wir uns vor Mordfällen nicht mehr retten.«
    »Genau. Ich glaube, er wurde hinausgestoßen, und ich glaube, wer der Täter auch war, er haßte Adams so bitter, daß keine der üblichen akademischen Streitereien der Grund dafür sein konnte, auch wenn diese häufig sehr heftig sein können. Ich habe jetzt ein viel klareres Bild von Professor Adams. Dafür danke ich Ihnen sehr.
    Haben Sie vor, sich doch noch einmal den Kreuzzügen zuzuwenden?«
    »Nein. Ich glaube nicht mehr an ›heilige Kriege‹. Wissen Sie, ein paar von uns alten Käuzen sind doch noch in der Lage, hinzuzuler-nen.« Und sie sprachen über andere Dinge. Kate trank noch eine Tasse Tee und aß ein zweites Sandwich. Sie hatte keine Eile, von Mr. Witherspoon fortzukommen, für den sie, aus den vielschichtigen Gründen, die uns bewegen, tiefe Zuneigung empfand. Auf dem Heimweg ging ihr später durch den Kopf, daß sie wahrscheinlich zu den wenigen Gästen gehörte, denen Mr. Witherspoons Geld gleichgültig war.
    Kate wanderte durch den Central Park; sie betrat ihn an der 76.
    Straße auf einem Pfad, der zum ›Ramble‹ führte, dem dichtbewalde-ten, fast ländlich wirkenden Teil des Parks. Kate würde dieses Gebiet wie immer mit Bedacht umgehen, denn es war gefährlich geworden; mit seinem dichten Gebüsch und den schmalen Pfaden war es ein hervorragendes Versteck für Räuber und Vergewaltiger. In Kates Jugend war die Gefahr noch nicht real gewesen, zwar hatte dem Flecken schon damals etwas Bedrohliches angehaftet; das Flair von Abenteuer erhöhte aber damals noch seine Anziehungskraft. Das Schlimmste, woran Kate sich erinnern konnte, war ein gelegentlicher Exhibitionist gewesen: lüstern, leicht zu ignorieren und harmlos.
    Plötzlich fiel Kate, wie so oft in letzter Zeit, wieder ein, wie ihre Mutter ihre upper-class-Mädchenzeit in New York geschildert hatte: Nachmittage im Ramble, während die Gouvernanten geduldig auf den Bänken unterhalb warteten, miteinander plauderten und ein wachsames, aber keineswegs ängstliches Auge auf ihre Schützlinge hatten, die aus dem Gebüsch hervorsprangen, wieder darin ver-schwanden und mehr zu hören als zu sehen waren. Damals, so hatte Kates Mutter – stolz, nostalgisch, vorwurfsvoll – gesagt, war die Welt noch in Ordnung. Daß sie heute nicht mehr in Ordnung war, daran gab sie alle Schuld den »Elementen«, die in »ihren« Park ein-gedrungen waren. Eine Haltung, die Kate schon als Kind abstoßend 61

    gefunden hatte.
    Kates Vorstellungen und Ansichten waren vom ersten Moment an nie die ihrer Mutter gewesen. Doch die Vergangenheit kehrte wieder, und Kate wußte, was auch Mr. Witherspoon offenbar klar war: Die Sehnsucht nach den alten Zeiten und alten Werten war im Grunde nichts anderes als der Wunsch, Armut, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit mögen diskret verborgen bleiben vor den Augen der Glücklichen, die ihnen entronnen waren.
    Auch Adams war so gewesen – obwohl jünger, so doch Kates Mutter nicht unähnlich. Kate wurde geboren, als ihre Mutter schon über vierzig war, so daß zwischen ihnen eine Generation

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