Der Sturz aus dem Fenster
törichtes Urteil fällen können. Deshalb ist ihre politische Haltung so rigide und ihre Eitelkeit so ausbeutbar.«
»Gut ausgedrückt«, sagte Lawrence lächelnd. »Sie machen mir dieses Gespräch angenehm leicht. Nun, mein Vater hatte die Verfü-
gungsgewalt über ein beträchtliches Erbe, und zugegeben, mein Bruder und ich wollten ihn davon abhalten, alles ihr zu geben. Aber abgesehen von dieser Summe – die mein Großvater lieber gleich uns hätte vererben sollen, aber die Ehrfurcht vor seinem intellektuellen Sohn war zu groß –, erhoben wir auf nichts Anspruch. Ich glaube, Cecelia empfand uns als eine Herausforderung. Sie hatte sich in eine männliche Hierarchie eingemogelt – hätte das aber natürlich nie so ausgedrückt. Sie hoffte offenbar, den männlichen Leittieren die dicksten Batzen vor der Nase wegschnappen und damit verschwinden zu können – wie ein Spatz unter Tauben. Ich halte sie nicht für eine Feministin. Falls sie das Wort überhaupt kennt, rümpft sie 73
wahrscheinlich die Nase darüber. Aber ihre Strategie zielte gegen die Dominanz von Männern.«
»Was hielten die Frauen von ihr – Ihre und Andrews?«
»Um das Gleichnis zu wechseln: Sie sahen in ihr einen Kuckuck im fremden Nest. Aber wie komme ich bloß ständig auf Vögel?
Unsere Frauen fanden sie einfach schrecklich, und das war sie auch, besonders ihnen gegenüber. Aber sie fanden sie noch dazu komisch.
Ich meine, Cecelia war und ist so himmelschreiend unmöglich, daß man einfach nicht glauben will, ihr wäre nicht bewußt, wie entsetzlich sie wirkt.«
»Ich weiß, was Sie meinen. Man könnte es auch erfrischend nennen.«
»Wenn man damit leben muß, würde man es wohl eher ein Kreuz nennen. Ehrlich gesagt: Es tut mir leid, daß sie ein Alibi hat, obwohl ich zugeben muß, daß er von ihrem Standpunkt aus zu früh gestorben ist. Haben Sie übrigens irgendeinen Anhaltspunkt? Einsichten, Hinweise, Möglichkeiten?«
»Ich arbeite daran«, mehr war Kate nicht bereit zu sagen. »Können Sie mir von Ihrer Mutter erzählen? Für mich hat sie in dieser ganzen Geschichte noch keine Konturen gewonnen. Soweit ich weiß, hat die Polizei ihren Aufenthaltsort zur Zeit des Fenstersturzes festgestellt. Sie war in Madison, Wisconsin.«
»Sie arbeitet dort – hat einen recht hohen Verwaltungsposten. Als wir Jungen größer wurden, nahm sie ihr Studium wieder auf. Sie bekam einen Dozentenjob in Politikwissenschaft, und kurz bevor sie eine Professur annehmen wollte, wurde ihr ein Dekanat angeboten.
Wie sich herausstellte, war ihr diese Funktion wie auf den Leib ge-schneidert. Das trifft für relativ viele Frauen zu, aber, wie meine Mutter mir erzählte, sind sie zu oft isoliert, übervorsichtig und daher machtlos. Ich glaube, um die Zeit, als sie Dekanin wurde, begann sie, sich von meinem Vater zu lösen. Einige Jahre später bot ihr die Universität von Wisconsin ein Dekanat an, und seither ist sie dort. Madison gefällt ihr.«
»War sie noch mit Ihrem Vater verheiratet, als Sie beide nach England fuhren?«
»Sie war so weit, ihn zu verlassen, obwohl ich das erst nach einer Weile in England erfahren habe. Wir sind nicht zusammen geflogen, sondern trafen uns dort und verbrachten einige Zeit in Cambridge.
Sie war so außerordentlich liebenswürdig zu meinem Vater, wie Frauen Männern gegenüber sein können, die ihnen zutiefst gleich-74
gültig sind. Hören Sie, Frau Professor Fansler, Kate, ich weiß, ich soll ehrlich zu Ihnen sein, und Informationen zurückhalten stiftet nur Verwirrung. Trotzdem fällt es mir schwer, über meine Familie zu sprechen, besonders über meine Mutter.«
»Verständlich, ich würde es ebenso hassen. Aber wenn der eigene Vater wahrscheinlich ermordet wurde, dürfen solche Hemm-schwellen keine Rolle mehr spielen. Trotzdem muß nicht alles, was in der Ermittlung aufgedeckt oder enthüllt wird, an die Öffentlichkeit gelangen – es sei denn, es ist von höchster Wichtigkeit, und auch dann nicht unbedingt.«
»Ich danke Ihnen, Sie haben mir Zeit zum Nachdenken gegeben, immer ein Zeichen von Taktgefühl. Meine Mutter verliebte sich in eine andere Frau, als sie noch mit meinem Vater verheiratet war.
Natürlich mußten mein Bruder und ich tolerant sein – das waren wir unserer Generation schließlich schuldig –, aber ich glaube, für uns war es ein größerer Schock, als wir uns lange Zeit eingestehen wollten. Nicht, daß wir ihr nicht jede Unterstützung angeboten hätten.
Wir haben sie immer viel lieber
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