Der Sturz aus dem Fenster
gemocht als unseren Vater, und das hat sich nicht geändert. Nun, wenn man es nicht gerade mit Phyllis Schlafly oder Pat Robertson hält, ist die ganze Angelegenheit heute nicht mehr so angstbefrachtet, aber das Leben ist zweifellos leichter, wenn man einfach sagen und denken kann: Meine Mutter ist ge-schieden, meine Mutter ist wieder verheiratet, der neue Freund meiner Mutter ist ein Schwergewichtsboxer aus Des Moines.«
»Wie hat Ihr Vater reagiert?«
»Sehr widersprüchlich. Im Grunde konnte er gar nicht glauben, daß es so etwas wie Homosexualität bei Frauen gibt: ohne die entsprechende männliche Ausstattung, wie soll das gehen? Gleichzeitig war es nicht leicht für ihn, nicht wegen eines anderen Mannes, sondern wegen einer Frau verlassen zu werden. Meine Mutter ließ ihm den Glauben, er habe sich von ihr getrennt, aber sie beide kannten die Wahrheit, und alle anderen ebenso. Sie hatte keinen Groll gegen ihn. Er glaubte immer, sie täuschen zu können, und im Grunde tat er ihr wahrscheinlich leid. Er hatte ständig Affären, oder zumindest kleine Techtelmechtel, viele davon mit Studentinnen, und für meine Mutter war es ein herrlicher Moment, als sie merkte, daß ihr das vollkommen egal war. Als sie mir davon erzählte, benutzte sie einen deftigeren Ausdruck. Meine Mutter ist eine handfeste Frau, handfest und klug.«
»Kennen Sie die Frau, mit der Ihre Mutter zusammenlebt, falls 75
sie das tut?«
»Natürlich. Wir besuchen die beiden regelmäßig. Als Dekanin muß meine Mutter sehr diskret sein. Sie und ihre Freundin bewohnen zusammen ein Haus, und niemand nimmt Anstoß daran. Außerdem kann meine Mutter gut mit Männern zusammenarbeiten und mag Männer. Neben vielen anderen Dingen habe ich von ihr gelernt, daß die meisten Lesbierinnen Männer nicht hassen, auch wenn sie es vorziehen, mit keinem zusammenzuleben. Lesbierinnen sind genauso verschieden wie alle anderen Menschen auch. Nun, wie Sie hoffent-lich bemerkt haben, macht mir das Wort ›lesbisch‹ keine Angst mehr, und meinem Bruder geht es ebenso. Das war eine sehr lange Rede. Inspirieren Sie alle Leute zum Reden? Ist das die Art, wie Sie am Ende Ihren Hauptverdächtigen festnageln?«
»Meine Hauptarbeit besteht darin, langweilige Fragen zu Alibis zu stellen, wie: ›Wo waren Sie am Abend des Samstag, dem sound-sovielten November?‹«
»Andy und ich und unsere Frauen waren in verdächtiger Nähe zum Tatort und haben keine Alibis, fürchte ich. Das heißt, wir hätten es tun können, im besten Sinne des Wortes können, obwohl ich gern versuchen will, Sie davon zu überzeugen, daß es für jeden von uns unmöglich war, zur Universität und zurück nach New Jersey zu fahren, ohne daß die anderen es mitbekommen hätten. Mir ist natürlich klar, daß wir alle unter einer Decke stecken könnten, und als Gegenargument kann ich Ihnen nur anbieten, daß es keinem von uns, besonders den Frauen nicht, im entferntesten ähnlich sähe, unsere Kinder allein in dem fremden, für die Gelegenheit gemieteten Haus in New Jersey zurückzulassen.«
»Was war die Gelegenheit?«
»Ein Freund von Andy bot uns das Haus an, weil er einen Haus-plus-Hund-plus-Katze-Sitter brauchte, und wir beschlossen, ein Familientreffen zu veranstalten und Thanksgiving bei dem alten Herrn zu verbringen. Normalerweise wechseln mein Bruder und ich uns ab. Wir hatten auch vor, irgendwann bald nach Thanksgiving an die vielleicht vorhandenen Vaterinstinkte unseres alten Herrn zu appellieren, aber das Schicksal kam uns dazwischen.«
»Haben Ihre Frauen auch Namen?«
»Oje, entschuldigen Sie bitte. Wenn ich von ihnen als unsere Frauen sprach, wollte ich ihnen ihre eigenständige Persönlichkeit damit nicht absprechen, auch wenn es so klingen mag. Ich hatte wohl die Hoffnung, sie so eher aus der Geschichte herauszuhalten. Wenige 76
Dekaden reichen nicht aus, all seine Beschützerinstinkte zu überwin-den. Meine Frau – die Dame, deren Ehemann ich bin – heißt Katha-rine, wird Kathy gerufen und ist Mikrobiologin. Andys Frau heißt Clémence, wird Clem gerufen und ist Psychoanalytikerin. Wir haben jeder ein Kind, beides Mädchen, weniger als ein Jahr auseinander.«
»Clémence ist ein ungewöhnlicher Name.«
»Nicht wahr? Clem sagt, es sei ein Familienname, aber Kathy, die eine Bewunderin von Ivy Compton-Burnett ist, behauptet, der Name stamme aus einem ihrer Romane. Kein Grund natürlich, warum nicht beide recht haben sollten. Auch Kathy und Clem mögen einander. Und ich fürchte,
Weitere Kostenlose Bücher