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Der Sturz aus dem Fenster

Der Sturz aus dem Fenster

Titel: Der Sturz aus dem Fenster Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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ebensowenig versuchten es Edna, der Rektor oder andere. Als Humphrey, den man ebenfalls benachrichtigt hatte, einige Stunden später eintraf, umarmten sie sich nur stumm.
    Kate schwieg wie betäubt, ein Zustand, von dem sie wußte, daß er bald in einen endlosen Wortschwall übergehen würde, aber im Moment fehlten ihr die Worte. Humphrey führte sie zu einer Mauer-brüstung, von der aus man auf einen der wenigen grünen Flecken in der betonierten Szenerie des Campus schaute.
    »Vorgestern hat sie mich angerufen«, sagte Humphrey. »Es ging ihr gut; ihr alter Ehrgeiz schien wiedererwacht zu sein. Ich weiß nicht, ob jetzt der richtige Zeitpunkt ist, es dir zu erzählen, aber das Gespräch mit dir hat ihr gefallen. Sie sagte, du seist direkt und gera-deaus und keine butterweiche Liberale.«
    »Aber ich bin eine butterweiche Liberale«, sagte Kate. »Ich hab nie verstehen können, was daran schlecht sein soll. Wenn jemand schneller menschlich und verständnisvoll reagiert als die meisten anderen Menschen, ist er deshalb zu verachten?«
    »Nein. Aber der Ausdruck bezieht sich auf Leute, die vor jeder konkreten Aktion zurückschrecken – auf Leute wie die Kennedys, John und Robert, die nie wirklich etwas für die Schwarzen oder für die Frauen getan haben und sich an Stränden aalten, die so exklusiv und für alle anderen verboten waren wie irgendein Club im Süden.
    Selbst Lyndon Johnson hat 1964 die schwarze Delegation von Mississippi nicht zum Demokratischen Konvent zugelassen; daran erinnerst du dich vielleicht. Ich glaube, was Arabella meinte, war, daß du ihr keine überschwengliche Bewunderung für ihren Kampf vorgespielt hast und in Wirklichkeit die ›alten Werte‹ vertrittst. Du meinst eben nicht, daß eine Kultur, die sich nicht auf Plato beruft, irrelevant 98

    ist.«
    »Was Arabella meinte, werden wir nie wissen, Humphrey«, sagte Kate. »Warum mußte sie sich nur umbringen lassen? Ich kann mir nicht helfen, aber ich habe das sichere Gefühl, wenn ich nie mit ihr gesprochen hätte, wäre das nicht passiert. Und du weißt das auch.«
    »Daß das Unsinn ist, weiß ich. Wir müssen aufhören, Trauer und Schuldzuweisungen durcheinanderzubringen. Laß uns lieber herausfinden, wer sie umgebracht hat. Du warst es nicht. Ich war es nicht.
    Aber jemand war es.«
    »Na«, sagte Kate, »immerhin gibst du zu, daß sie nicht einfach in einem Moment verrückter Begeisterung oder Verwirrung hinausgefallen ist. Es wird bestimmt nicht lange dauern, bis die Leute etwas Derartiges behaupten. Was genau hat sie gesagt, Humphrey, als sie mit dir sprach?«
    »Wenn du ihre Worte wissen willst – sie sagte: ›Ich habe mich mit deiner Fansler-Freundin getroffen‹, mit starker Betonung auf Freundin, ›also, ich hab das Gefühl, sie will es wirklich wissen, wer den alten Canfield zum Fenster rausgeworfen hat. Vielleicht kann ich ihr helfen. Würde dich das freuen, Humph?‹«
    »Das war der genaue Wortlaut, oder?«
    »Der genaue Wortlaut. Mein ganzes Leben werde ich mich daran erinnern. Kate, jetzt mußt du ihr helfen. Es gibt Zeiten, wo man klagen und lamentieren darf und muß. Ich habe Situationen erlebt, in denen die ganze Wut, die sich seit meiner Kindheit in mir aufgestaut hatte, plötzlich an die Oberfläche kam und mich monatelang völlig lahmlegte. Das wird mir jetzt nicht passieren und dir auch nicht. Wir werden herausbekommen, was und wer sie umgebracht hat. Mit
    ›was‹ meine ich, welche Ressentiments, welche Kräfte im Hintergrund, welche Organisation, welche Angst. Das ist genauso wichtig wie das ›wer‹.«
    Sie standen nebeneinander auf dem Campus, betrachteten das Treiben der akademischen Welt und konnten nicht fassen, wie viele Menschen ihren Geschäften nachgingen, als sei die Tragödie nicht geschehen. Die meisten, dachte Kate, wissen ja nichts von ihr, werden wahrscheinlich nie erfahren, daß eine Kommilitonin zerschmettert auf dem Hinterhof ihrer Wohnung gestorben ist. Und für die, die davon erfuhren, würde es wahrscheinlich nur eine kurzlebige Sensation sein. Kate und Humphrey wußten genau, wie erleichtert die Verwaltung war, daß die Sache sich nicht auf dem Campus ereignet hatte; aber weder dieser Gedanke noch all die anderen mußten aus-99

    gesprochen werden. Voller Kummer und Entschlossenheit standen sie stumm beieinander.
    Aber schon bald überkam Kate ein Sprechbedürfnis, das an Ob-session grenzte. Reed war natürlich der Hauptleidtragende, was, wie er ihr sagte, völlig in Ordnung sei. Kate

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