Der Sturz aus dem Fenster
gewesen sein«, sagte Kate – zum einen, weil sie es dachte, zum anderen, weil sie sich Mühe gab, nicht übertrieben taktvoll zu sein, nicht überängstlich, jedes falsche Wort zu vermeiden.
»Ihre Mutter war keine achtzehn, als Arabella geboren wurde. Sie hatte einen Kaiserschnitt und bekam danach eine Embolie, woran sie starb. Das Ganze war eine böse Ironie des Schicksals. Sie war glücklich verheiratet, mit einem hingebungsvollen Mann – davon gibt es nicht allzu viele auf dieser Welt, schon gar nicht in der Welt der Schwarzen –, und sie hatte die beste ärztliche Betreuung. Und trotzdem konnte so etwas passieren. Ich lernte Arabellas Vater kennen, als sie ein Jahr alt war. Seine Mutter kümmerte sich um sie. Für Arabella war ich ihre Mutter, und ich habe sie sehr geliebt, und ihrem Vater ging es nicht anders. Er ist Pfarrer in einer Kirche in Lower Manhattan.« (Also war der Pfarrer, der den Trauergottesdienst gehalten hatte, Arabellas Vater gewesen. Das hätte Kate wissen können. Aber sie hatte sich gescheut, irgend jemandem Fragen zu stellen. Fragen schienen unerträglich zudringlich.) »Wir hatten das so seltene Zuhause, eine gute Ehe – wir waren eine glückliche Fami-104
lie. Aber Arabella war nie wirklich glücklich. Immer mußte sie gegen irgend etwas anrennen, Dinge aufrühren. Sie war wütend auf uns, auf die Universität, auf die ganze Welt. Wütend wegen Südafrika, den Palästinensern und der Dritten Welt. Tragisch ist nicht nur ihr Tod, sondern daß sich gerade in letzter Zeit ihre Wut ein wenig abzubauen schien. Das, was berechtigt an ihrem Zorn war, behielt sie, gab ihm aber eher eine andere Richtung. Sie mußte nicht mehr allen Haß auf das Unrecht dieser Welt an denen auslassen, die sie liebten und die ihr helfen wollten. Humphrey hat viel dazu beigetra-gen. Aber besonders bei jungen Leuten ist schwer zu sagen, wieviel Zorn berechtigt ist. Man wird so leicht selbstgerecht. Gerade in der letzten Zeit begann sie, unsere Liebe zu akzeptieren.«
»Ich weiß nicht, was ich Ihnen sagen soll, Mrs. Jordan. Das Komische dabei ist, daß ich sonst nie um Worte verlegen bin, aber ich weiß einfach nicht, was ich Ihnen sagen soll. Daß es mir schrecklich leid tut, ist nicht nur unangemessen, sondern auch banal und sinnlos, glaube ich.«
»Wir haben mit der Polizei gesprochen. Sie gab sich Mühe, nett zu sein. Sie schickten sogar eine Frau aus dem Kommissariat, die zwar keinerlei Ähnlichkeit mit Cagney und Lacey hatte, aber trotzdem nett war. Arabella verabscheute ›Cagney und Lacey‹, be-schimpfte sie als Rassistinnen und Heuchlerinnen. Das waren ihre Worte. Aber mir gefallen sie. Stimmt, sie sind weiß, aber sie stehen ihren Mann im Beruf, haben Ehrgeiz, sind gute Freundinnen und machen Witze über Männer. Wann sieht man so etwas schon im Fernsehen?«
»Der Kommissar, mit dem ich gesprochen habe, erwähnte Angela Lansbury. Ob wir wohl alle bald in Kategorien von Fernsehserien denken?«
»Wenn man nicht weiter weiß, ist das doch eine praktische Verständigungsweise. Jedenfalls, die Polizistin war nett, und die Männer ebenfalls, obwohl die das viel größere Anstrengung kostete. Schrecklich bei dem Ganzen war nur, daß wir ihnen nicht weiterhelfen konnten. Wir wußten so wenig von Arabellas Leben. Sie teilte sich irgendwo mit Freunden eine Wohnung, wir wußten nicht mal genau, wo. Wenn wir sie dringend sprechen mußten oder uns Sorgen machten, riefen wir immer Humphrey an. Oft ließ sie monatelang nichts von sich hören. Und wenn sie dann kam, versprach sie, bald anzurufen oder wieder vorbeizukommen, tat es aber nicht. Ich weiß, das klingt, als hätte ich Groll gegen sie, und den habe ich auch. Ich den-105
ke, Sie sind klug genug, das zu verstehen. Vor allem bin ich wütend, daß sie tot ist. Wir hatten nie Zeit genug, um uns wieder näherzukommen. Als sie klein war, hatten wir jenes liebevolle Verhältnis, das man im Fernsehen vorgeführt bekommt und in der Wirklichkeit fast nie findet. Zwischen uns war es da.«
»Haben Sie noch mehr Kinder?«
»Arabella hatte zwei jüngere Brüder.« Die Antwort war knapp, und Kate beließ es dabei. Schließlich war Mrs. Jordan nicht hergekommen, um darüber zu sprechen. Gewiß hatte sie das Gefühl, bei Arabella gescheitert zu sein, und dieses Gefühl würde sie ihr ganzes Leben nicht mehr loslassen. Kate wußte das, spürte aber, daß Mrs.
Jordan nur bereit war, darüber zu sprechen, wenn Kate sie darum bitten würde.
»Wann begann Arabellas
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