Der Südstern oder Das Land der Diamanten
unausgesetzt erfüllt – nach der Kopje zurückkehrte und, um eine Hütte biegend, vor Schreck zurückwankte. Hier bot sich seinen Augen ein klägliches Schauspiel.
Ein Mann hing an der Deichsel eines Büffelkarrens, der vor der Mauer stand, mit dem Hintertheil auf der Erde und der Deichsel in der Luft. Unbeweglich, mit ausgestreckten Füßen und Händen, hing der Körper wie ein Senkblei im schwindenden Tageslichte und bildete mit der Deichsel einen Winkel von etwa zwanzig Graden.
Es war ein schauerlicher Anblick.
Zuerst verblüfft, empfand Cyprien doch ein warmes Gefühl von Mitleid, als er den Chinesen Lî erkannte, der mit dem um den Hals geschlungenen langen Zopfe hier zwischen Himmel und Erde schwebte.
Der junge Ingenieur hatte nicht lange zu überlegen, was hier zunächst zu thun war; das Ende der Deichsel erklimmen, den Körper des armen Wichtes in die Arme zu nehmen und etwas zu heben, um die Wirkung der Strangulation aufzuheben – das war für ihn das Werk einer Minute. Als das geschehen, ließ er sich vorsichtig niedergleiten und legte seine Bürde im Schatten der Hütte nieder. Es war die höchste Zeit, obgleich Lî noch nicht ganz erkaltet schien. Sein Herz schlug schwach, aber es schlug doch. Bald hatte er auch die Augen wieder geöffnet und schien sonderbarer Weise auch gleichzeitig die Besinnung wieder zu bekommen, als er das Licht erblickte.
Die immer gleichgiltige Physiognomie des armen Teufels ließ auch jetzt, wo er dieser entsetzlichen Lage entronnen war, weder ein Zeichen von Schrecken, noch von Verwunderung erkennen. Er sah vielmehr aus, als ob er nur aus leichtem Schlummer erwachte. Cyprien reichte ihm ein paar Tropfen mit Essig versetzten Wassers, das er in einer Feldflasche bei sich trug.
»Können Sie nun sprechen?« fragte er mechanisch, ganz uneingedenk, daß Lî ihn wahrscheinlich nicht einmal verstand.
Der Andere nickte jedoch mit dem Kopfe.
»Wer hat Sie hier gehenkt?
– Ich selbst, antwortete der Chinese, als habe er gar kein Bewußtsein davon, damit etwas Außergewöhnliches und Verbrecherisches gethan zu haben.
»Sie?… Sie wollten also einen Selbstmord begehen, Unglücklicher.. Und warum?
– Es war Lî warm!… Lî war mißgestimmt!« erklärte der Chinese. Dann schloß er wieder die Augen, als wolle er ferneren Fragen enthoben sein.
Da bemerkte Cyprien erst zu seiner Verwunderung, daß diese Worte in französischer Sprache gewechselt worden waren.
»Sie sprechen wohl auch Englisch? fuhr er fort.
– Ja,« bestätigte Lî die Augenlider aufschlagend.
Man hätte jetzt zwei schiefe Knopflöcher zu sehen geglaubt, die sich an beiden Seiten seiner kleinen Stumpfnase befanden.
Cyprien kam es vor, als läge in diesem Blicke wieder etwas von jener Ironie, die er schon während der Fahrt vom Cap nach Kimberley bemerkt hatte.
»Ihre Gründe sind thöricht! sagte er ernst. Man begeht keinen Selbstmord, weil’s einem zu warm ist!… Sprechen Sie offen!… Ich wette darauf, hier steckt doch wieder ein boshafter Streich jenes Pantalacci dahinter?«
Der Chinese senkte den Kopf.
»Er wollte mir den Zopf abschneiden, sagte er mit gedämpfter Stimme, und ich weiß, daß er es doch nach einigen Tagen zur Ausführung gebracht hätte.«
Gleichzeitig gewahrte aber Lî jenen berühmten Zopf in der Hand Cypriens und überzeugte sich, daß das Unheil, welches er vor allem Anderen fürchtete, schon über ihn hereingebrochen war.
»O, Herr!… Wie?… Sie.. Sie haben mir ihn abgeschnitten?«… rief er in herzzerreißendem Tone.
– Ich mußte es, um Sie loszumachen, armer Freund! antwortete Cyprien. Aber zum Kuckuk, deshalb sind Sie hier zu Lande nicht einen Sous weniger werth!… Beruhigen Sie sich getrost!…«
Der Chinese erschien so verzweifelt über diese Amputation, daß Cyprien aus Furcht, jener könne einen neuen Selbstmordversuch machen, sich entschloß, nach seiner Hütte zurückzukehren und ihn mitzunehmen.
Lî folgte ihm ohne Widerspruch, nahm neben seinem Retter Platz, ließ sich geduldig eine Strafpredigt halten und versprach, keinen weiteren Versuch zu unternehmen. Unter der Wirkung einer Tasse dampfenden Thees ließ er sich sogar zur Mittheilung einiger Einzelheiten aus seinem Leben herbei.
Geboren zu Canton, war Lî in einem englischen Hause für den Handel erzogen worden. Dann hatte er sich nach Ceylon, von da nach Australien und schließlich nach Afrika gewendet. Nirgends aber wollte das Glück ihm lachen.
Das Waschgeschäft im Minenbezirke ging nicht
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