Der Suender und die Lady
musste. „Und noch einmal: Er hätte unser Ziel nicht vor Reginas und meinem Eintreffen erreicht. Das sind zwei Gründe, um Jack von meiner Liste zu streichen.“
Was er denn auch tat, nachdem er die Feder noch einmal ins Tintenfass getunkt hatte. Er strich außerdem den namenlosen Kutscher von Mentmore und das Wort Dienstboten aus. Er strich auch den Namen Doris Ann aus.
Wer sonst wusste noch, wo die Entführung stattgefunden hatte?
Er überflog seine Liste noch einmal.
Regina. Sie war dort.
Lady Claire. Regina hatte es ihr gesagt.
Der Viscount Ranscome. Lady Claire hatte es ihm zweifellos gesagt.
Reginald Hackett. Er war dort.
Dann betrachtete er die Liste erneut und strich die ersten drei Namen durch. Alle drei hatten eines gemeinsam: Sie hatten nichts von Davy Tripp gewusst. Er hatte Regina erst von dem Jungen erzählt, als sie das Lagerhaus erreicht hatten. Mirandas Eltern konnten nichts von ihm wissen.
Er unterstrich den letzten Namen. Dreifach. Und tunkte noch einmal die Feder ein, um eine neue Liste zu erstellen.
Er war dort.
Er könnte mich beobachtet haben, als ich bei meiner Rückkehr zum Maskenball, nachdem ich Regina sicher nach Haus gebracht hatte, mit Davy Tripp sprach.
Er hat die Runner nach Norden geschickt.
Hinter die letzte Zeile schrieb Puck das Wort Warum?
Dieses Wort unterstrich er vier Mal.
„Sir?“ Wadsworth trat ins Zimmer. „Er ist jetzt so salonfähig, wie wir ihn hinkriegen konnten, Sir.“ Der zum Butler mutierte Stabsfeldwebel griff hinter sich und zerrte Davy Tripp ins Zimmer.
Der Junge sah nicht viel besser aus als vor dem Bad und dem Kleiderwechsel, doch wenigstens eilte ihm sein Geruch nicht voraus. Er hatte etwas Mageres, Hungriges an sich, wahrscheinlich, weil er eben Hunger hatte. Er war klein, vielleicht auch älter, als sein Körperbau vermuten ließ. Genau genommen hätte er sich auch rasieren müssen.
„Oha …“, sagte er und schaute sich im Zimmer um. „Ist das aber schön.“
„Ja, das haben die Damen des Hauses mit ihren Dekorationsbemühungen im Laufe der Jahre zweifellos angestrebt – dass es schön wird. Danke, Wadsworth. Du kannst gehen.“
„Sind Sie ganz sicher, Sir? Er ist so einer, der das eine oder andere einsteckt, wenn keiner hinschaut. Ich kenne seinesgleichen. Das Einzige, was er seit seiner Ankunft in diesem Haus nicht klauen wollte, ist die Seife. Um die hat er weiß Gott einen großen Bogen gemacht.“
Puck lächelte über den aufgebrachten Gesichtsausdruck des Butlers. „Wir könnten ihn doch an einen Stuhl fesseln? Ihm eine Pistole an die Schläfe drücken? Haben wir irgendwo noch Daumenschrauben vorrätig, Wadsworth?“
Die Wangen des Butlers färbten sich dunkelrot. „Sie wollen damit sagen, dass Sie mit ihm fertigwerden, Sir, nicht wahr?“
„Ja, ich glaube schon. Aber tun Sie sich keinen Zwang an, und bleiben Sie gern draußen vor der Tür stehen, für den Fall, dass ich plötzlich anfange, hektisch um Hilfe zu rufen. Danke.“
„Jawohl, Sir“, sagte Wadsworth, wandte sich mit gesenktem Kopf um und gab Davy Tripp rasch eins aufs Ohr. „Nur, damit du es nicht vergisst“, sagte er und schloss die Tür hinter sich.
Der Junge rieb sich den Kopf und sah Puck böse an. „Warum hören die nich auf, mich immer zu hauen, Herr? Ich hab doch nix getan.“
„Ich bitte dich um Entschuldigung dafür, dass mein Stiefel versehentlich deine Wange getroffen hat, Mr Tripp.“
„Nein, Herr, Sie doch nich. Sie sind in Ordnung, haben mich ja gerettet und so. Aber der, der gerade gegangen ist. Und die drei Kerle, die mich ersäufen wollten.“
Puck hüstelte in seine Faust. „Das nennt man baden, Davy.“
„Nennen Sie es, wie Sie wollen, Herr. Ich mach so was nie wieder.“ Er ging zu einem der Tischchen, hob ein Aphroditen-Figürchen auf und fuhr mit einem immer noch schmutzigen Fingernagel über die bloße marmorne Brust, grinste und stellte es dann rasch zurück. „Warum wollte der Kerl mich abstechen? Ich hab doch nix getan.“
Puck wies dem Jungen … Burschen … jungen Mann mit einer Handbewegung einen Sessel vor dem Schreibtisch zu. „Wie alt bist du, Davy?“
„Ich?“ Er runzelte die Stirn, als stünde er vor einem komplizierten Problem. „Weiß nich. Meine Ma hat mich als Schornsteinfeger losgeschickt, als ich fünf oder sechs war. Hab sie seitdem nich mehr gesehen. Sie würde das wissen. Dann war ich zu groß für diese Arbeit, da hat man mich auf die Straße gesetzt. War ein paar Jahre hier, ein paar
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