Der Suender und die Lady
Jahre da. Hab ein paar Jahre da gearbeitet, wo Sie mich gefunden haben. Kann dahin wohl nich zurück, oder? Das heißt für mich, wieder auf die Straße. Und Tiny hat die Münzen genommen, die Sie mir neulich gegeben haben. Schwere Zeiten für mich, sag ich. Nein, ich will eigentlich nich viel sagen, Herr. Wenn ich’s verkehrt mache, lassen Sie mich sicher wieder ersäufen?“
„Im Moment nicht, nein, aber wenn du in meinen Diensten bleiben willst, muss ich darauf bestehen, dass du zumindest eine flüchtige Bekanntschaft mit dem Badezuber aufrechterhältst. Sieh mal, Mr Tripp, ich brauche deine Hilfe. Bist du bereit, mir zu helfen?“
„Bin kein Mister. Einfach Davy. Tripp haben sie mich nur genannt, weil ich so oft gefallen bin. Meistens, wenn mich wer geschubst hat.“ Davy kratzte sich am Kopf, was die Theorie, dass gewisses Ungeziefer unter Wasser ziemlich lange den Atem anhalten kann, glaubwürdig erscheinen ließ. „Und es kommt wohl irgendwie drauf an, Herr. Wieso flüchtige Bekanntschaft?“
„Danke, Hanks.“
Die Zofe hatte ein weiteres Taschentuch von irgendwo hergezaubert und reichte es Leticia Hackett.
„Ja … danke, Hanks“, sagte Lady Leticia, tupfte zierlich ihre feuchten Augen ab und putzte sich herzhaft die Nase. „Ich kann es nicht fassen, dass du dich auf diese geschmacklose Intrige eingelassen hast, Claire“, wandte sie sich dann an ihre Schwägerin, und zwar nicht zum ersten und auch nicht erst zum dreiundzwanzigsten Mal. Doch dieses Mal sollte sich rasch als schlimmer als alle vorangegangenen Male erweisen. „Du bist weiter nichts als die Enkelin eines Hutmachers, was dich vielleicht in gewisser Weise entschuldigt, und deine Tochter liegt dir wirklich am Herzen. Aber wie kannst du es wagen, mein Kind einem solchen Skandal auszusetzen?“
„Mama, bitte“, sagte Regina, ebenfalls nicht zum ersten Mal. „Ich sagte doch schon, ich bin an allem, was passiert ist, genauso schuld wie Miranda. Ich hätte Nein sagen können. Ich hätte anordnen müssen, dass die Kutsche umkehrt. Aber ich habe es nicht getan. Das alles hörte sich ziemlich aufregend an. Masken zu tragen, mit den Herren dort zu tanzen, ohne dass jemand wusste, wer wir sind. Bist du nie zu einem Maskenball gegangen, als du jün… als du deine Saison in London hattest?“
Lady Leticia richtete sich sehr straff in ihrem Sessel auf. „Aber ganz sicher nicht. Meine Mama hat mir von solchen Bällen erzählt, und sie hat mir sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass sie aufgrund der unartigen Vorkommnisse, die immer häufiger typisch für derartige Veranstaltungen waren, nicht mehr als schicklich angesehen wurden. Ich habe ein paar Geschichten gehört, von denen keine für deine Ohren bestimmt ist, mein Fräulein. Meine Tochter, auf einem Maskenball! Du hättest verschleppt werden können! Du bist viel hübscher als Miranda. Wie konnte man sie dir vorziehen? Ach, was rede ich!“ Sie suchte erneut Zuflucht bei ihrem Taschentuch.
Regina sah ihre Tante an und seufzte. So ging es nun schon seit einer Stunde, seit Lady Leticia aus ihrem weinseligen Schlummer erwacht war. Es ging hin und her, her und hin. Zuerst der Maskenball, dann das Gezeter darüber, dass sie im Haus eines scheußlichen Schurken niederer Herkunft gefangen gehalten wurde, der sie wie ein ganz gewöhnlicher Straßenräuber entführt hatte. Gefangen gehalten! Und zwar im Herzen von Mayfair! Das war unerträglich!
„Vielleicht könnte ein Glas Wein …“ Lady Claire nahm Regina beiseite, während Hanks sich um Lady Leticia bemühte, ihr den Rücken klopfte und ihr noch ein Taschentuch reichte.
„Nein!“ Regina verzog das Gesicht angesichts ihrer eigenen Heftigkeit. „Das heißt, ich finde, wir sollten diese Art von Zufluchtnahme nicht begünstigen. Oder?“
„Noch ist sie nicht auf deinen Vater zu sprechen gekommen“, gab Lady Claire zu bedenken. „Wenn sie überlegt, wie Reginald reagiert, wenn er von unserer Tat erfährt, gibt es womöglich in ganz London nicht genug Wein, um sie zu beruhigen.“
Regina brannten ungeweinte Tränen in den Augen. „Ich bereue nicht, was wir getan haben“, sagte sie. „Wir hatten im Grunde keine andere Wahl, nicht, wenn wir in der Lage sein wollen, Miranda zu helfen und zur Stelle zu sein, um sie zu trösten, wenn wir sie gefunden haben. Und wir werden sie finden, Tantchen, das verspreche ich dir. Puck – ich meine, Mr Blackthorn – ist der Meinung, wir sind bereits auf dem besten Wege, sie zu finden und
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