Der Suender und die Lady

Lamott nur Stunden zuvor, sorgsam die Seiten eines der Geschäftsbücher umblätternd, die sie gefunden hatten, musste er trotzdem unwillkürlich ihren Mut, ihre Intelligenz bewundern. War es schlimmer, dass er sie mitgenommen hatte, oder wäre es schlimmer gewesen, zu sagen, ihr Geschlecht würde sie von der Beteiligung an alledem, was um sie herum vorging, ausschließen?
    „Mr Lamott hatte recht, Puck“, informierte sie ihn, klappte das große Buch zu und legte die gefalteten Hände auf den Einband. „Hier werden dreiundzwanzig Schiffe aufgeführt, aber keines heißt ‚Pride and the Prize‘. Und trotzdem liegt es da draußen vor Anker. Wir haben es gerade gesehen.“
    „Und die Flut steigt“, bemerkte Jack, der sich in dem kleinen Büro wieder zu ihnen gesellte. „Das Schiff liegt bereit, um seine Ladung aufzunehmen. Dieses Gebäude ist fast so groß und weitläufig wie Buckingham Palace, wenn auch ästhetisch nicht ganz so erfreulich. Ich hatte nur Zeit für eine flüchtige Untersuchung, doch keine der Kisten in der Nähe des Eingangs zu diesem Lager ist für die Verladung auf die ‚Pride and the Prize‘ beschriftet. Wo immer die Fracht an Bord genommen werden soll, das hier ist nicht der Ort. Erscheint euch das nicht merkwürdig? Ihr habt gesagt, nach den Worten eures Mr Lamott soll das Schiff in zwei Tagen in See stechen.“
    „Der Termin hat sich vielleicht geändert, nachdem nun ein Teil der Fracht verloren gegangen ist“, sagte Puck und verzog das Gesicht, als er seine eigenen Worte vernahm. Drei Frauen waren tot. Er konnte sie doch nicht als Fracht betrachten!
    „Mein Vater sagt, die Straßen von London seien zu keiner Zeit sicher“, sagte Regina, stand auf und strich ihre Hosen glatt. „Aber heute Nacht ist es dort sicher gefährlicher denn je.“
    „Ich werde es unserem Freund Mr Porter flüstern“, sagte Puck. „Er hat sich bereit erklärt, seine – nennen wir sie seine Kollegen, ja? – in Alarmbereitschaft zu versetzen. Auf jeden Fall wird es in den nächsten Tagen deutlich weniger Dirnen auf den Straßen geben. Aber länger nicht. Das hat Mr Porter ebenfalls deutlich gemacht. Gelegentlich eine Frau zu verlieren, das fällt unter Geschäftsunkosten. Blas die Kerze aus, Liebes. Hier sind wir fertig. Doch vor unserem Aufbruch möchte ich mir noch diesen ausgeklügelten schwebenden Raum ansehen.“
    Sorgsam schob er den schwarzen Schlüssel unter einen Papierstapel auf dem Schreibtisch, denn er brauchte ihn nicht mehr. Er hatte den Schlüsselring, an dem alle Schlüssel an Mr Lamotts Bund gehangen hatten, seinerzeit ein wenig aufgebogen, sodass der Verlust hoffentlich als dummes Versehen verstanden werden würde. Vielleicht wurde der Schlüssel gefunden, vielleicht auch nicht, doch sein Fundort ließ es immerhin glaubwürdig erscheinen, dass er verloren, nicht gestohlen worden war. Sie hatten sogar schon den Plan gefasst, beim Verlassen des Gebäudes die kleinen Türen zum Lagerhaus und zum Büro einzuschlagen und die Schlösser zu knacken, sodass niemand so schnell auf die Idee kommen konnte, Mr Lamotts früherer Besucher könnte mit Durchsuchungsabsichten zurückgekehrt sein.
    Wie sonst sollten sich die beiden derzeit bewusstlosen Wachtposten schließlich erklären lassen?
    „Wie viele Kisten haben Dickie und Henry mitgenommen?“, fragte Puck auf dem Weg zu der langen, schmalen Treppe an Jack gewandt. Der Einbruch sollte wie ein Raubüberfall aussehen, doch schon beim Eindringen in das Gebäude einfach die Türen einzuschlagen hätte die Gefahr der Entdeckung erhöht. Deshalb hatten sie beschlossen, sich diesen kleinen Akt von Vandalismus bis zum Schluss aufzusparen.
    „Vier. Das ist eine hübsche gerade Zahl. Dickie hofft auf Tee, würde sich aber auch mit Stoffballen zufriedengeben. Soviel ich weiß, liebt seine Mutter französische Seidenstoffe.“
    „Und ihr glaubt wirklich, mein Vater könnte glauben, dass dies hier nichts weiter als ein Einbruch war?“, fragte Regina. Ihre Schritte wurden ausgreifender und zuversichtlicher, je mehr sie sich an die Bewegungsfreiheit gewöhnte, die die Hosen ihr gaben. Puck würde sich auf Probleme einstellen müssen, falls ihr diese Freiheit zu gut bekam. Ihm allerdings fiel wenig ein, was er gegen den Anblick ihrer fraulichen Formen in Gastons bester Wildlederner hätte einwenden können.
    „Man kann es nicht wissen, aber man sollte wenigstens den Versuch unternehmen“, sagte Jack und ließ ein Lächeln aufblitzen, was selten genug