Der sueße Kuss der Luege
zustande.
»Ich weiß, das ist vielleicht ein wenig ungewöhnlich und ich habe das auch noch nie gemacht, aber ich würde Sie gern wiedersehen. Wäre das für Sie eine Option?«
Eine Option? Für einen Straßenpolizisten redet er ganz schön geschwollen, aber dann fällt mir ein, dass er vielleicht auch nur aufgeregt ist, wenn er das tatsächlich noch nie gemacht hat.
»Das… das wäre wirklich eine Option.« Sage ich dann und muss dabei ein bisschen grinsen, weil ich mir gerade zum ersten Mal in siebzehn Jahren wie Miss Pretty Woman vorkomme.
Er fragt mich, was ich lieber machen würde, ein Konzert besuchen oder am Main spazieren, ein Eis essen gehen oder ins Kino.
Ich bin kurz sprachlos, aber mein Bauch kann sofort eine Entscheidung treffen, Konzert kommt nicht infrage, weil man da nicht reden kann, Kino kann man auch nicht reden, aber schmusen, also ist das erst mal auch nix, bleiben der Main und das Eis. Einen Moment lang frage ich mich, ob er das nur deshalb vorgeschlagen hat, weil ich der rundliche Typ bin und er mich für einen Zuckerjunkie hält – womit er leider auch recht hätte, aber das verdränge ich sofort wieder und wir verabreden uns für übermorgen, weil er da Schichtwechsel und deshalb nachmittags freihat.
Er gibt mir seine Handynummer, falls bei mir irgendwas dazwischenkommt, und ich diktiere ihm natürlich auch meine, als Polizist muss er bestimmt öfter mal länger arbeiten oder Sonderschichten fahren.
Nachdem wir uns verabschiedet haben, lege ich auf und merke, dass ich völlig außer Atem bin. Wow. Der hat ein ganz schönes Tempo vorgelegt. Den Rest des Tages verbringe ich damit, mir zu überlegen, was der Haken an der Sache sein könnte, denn bisher haben sich, von Lukas mal abgesehen, nur seltsame Typen für mich interessiert. Basti behauptet, das läge an meinem Busen, der würde Männer sofort einschüchtern. Christian sagt, ich wäre schlicht zu fett und sollte mal fünfzehn Kilo abnehmen, dann würden auch normale Jungs Schlange stehen. Das ist natürlich Blödsinn, fünf Kilo wären schon okay, aber keine fünfzehn. Vermutlich vergleicht Christian mich mit seiner Frau Yukiko, neben der jede europäische Frau wirkt, als wäre sie eine fettleibige Riesin. Yukiko ist zehn Zentimeter kleiner als ich und damit fünfundzwanzig Zentimeter kleiner als Christian, der mit einem Meter fünfundachtzig der Größte in unserer Familie ist. Er hat sie in Tokio an der Börse kennengelernt, sie war die Chefin der dortigen Börsenaufsicht. Obwohl sie so klein und zierlich wirkt, ist sie unglaublich tough, hat in Karate den höchsten Dangrad und lässt mich gern an den erhabenen Regeln von Karate teilhaben. Da fällt mir gleich die Regel Nummer vier ein: Erkenne zuerst dich selbst und dann den anderen. Also, Lu, was genau fühlst du da gerade? Aber das interessiert mich nicht wirklich, viel lieber würde ich wissen, ob Diego seine Muskeln vielleicht vom Karatetraining hat. Ich beschließe, dass ich meinen Brüdern nichts von der Verabredung verrate, weil mich deren Kommentare nur wahnsinnig machen würden. Der Typ, der Gnade vor ihren Augen findet, muss sowieso erst noch geboren werden. Nur meiner Freundin Ellen erzähle ich alles haargenau und sie freut sich einfach nur für mich mit. Natürlich auch, weil sie gerade selbst so glücklich mit ihrem neuen Freund Max ist und sich wünscht, dass wir dann zu viert losziehen können.
Ich überfliege das, was ich bis jetzt aufgeschrieben habe, und es erleichtert mich ein kleines bisschen. Denn selbst wenn alles nur meine Schuld ist, hätte ich eine Hellseherin sein müssen, um zu wissen, was mit alldem in Gang gesetzt wurde.
Lu am Donnerstag, dem 3. Mai 2012
Ich bin auf dem Weg zum Main, wo Diego und ich uns am Ufer treffen, ich bin nervös, habe über Nacht mehr Pickel auf die Stirn bekommen als jemals überhaupt in meinem Leben und fast nicht geschlafen, was völlig bekloppt ist, denn ich kenne Diego ja noch gar nicht und vielleicht entpuppt sich unser erstes Date als kompletter Reinfall.
Leider bin ich immer überpünktlich und auch heute zu früh dran, obwohl ich mir vorgenommen hatte, ein bisschen später zu kommen. Habe extra lange getrödelt, bin an jeder Litfaßsäule stehen geblieben und habe jedes Plakat dreimal gelesen, trotzdem bin ich zu früh.
Zum Glück ist es warm und die Sonne scheint. Ich setze mich auf die Bank, an der wir uns treffen wollten, und starre auf den Main, der wie fettiges braunes Karamell in der Sonne schimmert.
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