Der Symmetrielehrer
tschechischer Philologe; Bartholomäus würde einen frischgebackenen Minister beiseite schieben (wusste er doch, das war vergänglich!). »Nur keine Bescheidenheit, Zubaty!« würde er den Philologen anspornen. »Steig rein in den Band …«
Bartholomäus ging ganz in der Arbeit auf. Immer leichter und präziser wurde die Auswahl, immer flinker vertauschte er Buchten gegen Gipfel, Heldentaten gegen Ehrungen, einen Schraubenschlüssel gegen einen Dom – die Kärtchen fluppten ihm aus den Händen wie bei einem Falschspieler; kein einziges Mal muddelte er, immer hatte er noch ein Trumpf-As in der Hinterhand, und alles zum Ruhm von Harmonie und Gerechtigkeit, alles zum Schimpf von Chaos und Schlechtigkeit.
Und alles war doch erst … Die Hauptschlacht stand noch bevor. Dort, zwischen Ej und Set, hatte er einen Lieblingsbuchstaben, dort sollte es zu einem Treffen kommen … »Tram-tararam«, trällerte Bartholomäus einen Siegesmarsch und rieb sich triumphierend die Hände. Diesen Plan hegte er nicht das erste Jahr. In England würde es nicht durchgehen, aber hier, bei den Froschessern, warum nicht? Ein Ergänzungsband ist eine ungefüge Zuwaage, jedoch aus ALLER Welt, und das schenkte Bartholomäus eine Freiheit, die in den gemeinen, exakt ausgerichteten Bänden unerreichbar war. Bartholomäus hatte sich vorbereitet, Bartholomäus war bereit. Die Regimenter waren in Reih und Glied aufgestellt, die Kanonen geladen, die Signalhörner blinkten, würden gleich losposaunen. Nur noch den Zünder brauchte er. Bartholomäus reckte sich nach der Lieblingsmappe mit den Trümpfen. Und da zog er statt des angepeilten Asses aus dem Kartenstoß etwas ganz anderes: einen nagelneuen Joker. Einen im roten Trikot, den traditionellen Narren. Zum Artikel ARLECCHINO . Er sah ihn sich an, irgend
was gehörte da nicht hin – statt Glöckchen Hörnchen, statt spitznasiger Halbschuhe Hufe. »Bäh!« Er spuckte aus, spaßeshalber. »Sowas aber auch, was für eine Wendung: statt A – B! Vielleicht sogar T? Aber wer glaubt denn an so einen, im roten Trikot? Heutzutage sind die piekfein … Adams. Bäh!« – nun schon wütend. »Da steckt er dahinter, der böse Geist!« Er hob die Augen; vor dem Fenster war es finster, im ganzen Gebäude verdächtig still. Über der Arbeit hatte er die Zeit vergessen! Die Uhr stand. ›Wie spät mag es wohl sein?‹ überlegte Bartholomäus erschrocken, und schlagartig umringten ihn die fast vergessenen königlichen Sorgen. Sie türmten sich, schnitten Grimassen, zwinkerten und fielen auseinander wie ein Stoß Karten aus lauter Jokern. Bartholomäus schob den im roten Trikot heftig weg, möglichst weit, unter den Buchstaben T; er sputete sich, verhedderte sich in den Ärmeln, jonglierte mit Schirm und Galoschen und glitt nach unten. Der durchsichtige Lift hing zwischen den Stockwerken und leuchtete, ganz allein, im dunklen Treppenhaus. »Bloß Sie sind noch da«, murmelte der Portier in freundlicher Missbilligung und kehrte Bartholomäus mit den Sägespänen zum Hauseingang hinaus. »Ein Telegramm für Sie. Und schöne Feiertage!« – »Was für ein Telegramm? Was für Feiertage?« – »Na, Weihnachten.« – »Wie – Weihnachten?!« Er las: »Barthelchen verletzt. Ankommen Heiligabend. Besorge Chirurgen.« Bartholomäus schüttelte den ungeschickten Domestiken. »Um Gottes willen! Wann?« – »Morgen.« Bartholomäus geriet außer sich. »Was faselst du da, Holzkopf?! Wie das – morgen?« – »Ganz normal.« Der Portier war beleidigt. »Morgen ist Weihnachten.« – »Wann kam das Telegramm!« – »Heute natürlich.« Das Telegramm also heute, und wann kämen sie? Bartholomäus konnte nur abwinken.
Natürlich war Bartholomäus ein großer Feldherr. Aber die Lage an den Fronten …
Seltsamerweise gestatten wir gerade großen Menschen nicht, dass sie der Schwachheit nachgeben und in Verzweiflung fallen. Dabei ist auch das ein Recht! Sprechen wir ihnen dieses armselige Recht ab, sprechen wir ihnen, ohne es zu mer
ken, Geist und Menschlichkeit ab, und dann leiden wir selbst, wenn wir damit konfrontiert werden. Bei den Großen, sollte man meinen, ist sowohl die Verzweiflung groß wie auch die Schwachheit maßlos. Denn wo liegt ein Unterpfand für den Sieg, wenn nicht auf der Talsohle dieses Abgrunds? Wir meinen, auch ein Napoleon hätte seine einzige Schlacht verloren, hätte er zufällig Schnupfen gehabt.
Die Angst um das Barthelchen stellte alles in den Schatten. War da nicht arg viel
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