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Der Symmetrielehrer

Der Symmetrielehrer

Titel: Der Symmetrielehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Bitow
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Elend über den unglücklichen König hereingebrochen? Er, der Berge errichtete, Inseln ausradierte und Sterne aufsteckte, war nur noch unglücklicher Sohn und unglücklicher Vater, nicht anders als unsereiner … Die Verzweiflung, die König Bartholomäus gepackt hatte, war schwerlich Verzweiflung zu nennen – sie war maßlos. Dazu peitschte ihm Regen mit nassem Schnee ins Gesicht, dazu im ganzen Körper ein widerlicher, hungriger, vorgrippöser Schüttelfrost. Drunter und drüber ging es in seinem Kopf, Mikro und Makro. Barthelchen und Weihnachtsbaum, Dieb und Adams, Chirurg und Rollstuhl, Teufel und Nichtteufel …
    Wie konnte er sich so verrechnen! Hatte geglaubt, morgen würde er alles schaffen, und mit einemmal war heute gestern. Das hatte ihm gerade noch gefehlt.
    Kein Weihnachtsbaum, kein Rollstuhl, vom Chirurgen ganz zu schweigen. Und was war mit Barthel dem Jüngsten? Horrorbilder erstanden vor dem armen Bartholomäus, in Gestalt einer im Galopp dahinjagenden Herzogin mit dem verblutenden Barthelchen auf dem Arm. Was war mit ihm? Arm, Bein? Auge, Gott behüte? Ohr? Das Ohr beruhigte den unglücklichen König ein wenig – ohne ein Ohr konnte man leben. ›Forceps!‹ Das war die Erleuchtung. ›Aber natürlich, Forceps!‹ Wie konnte er den vergessen … Forceps, den genialen Forceps, der in der ganzen Welt berühmt war dafür, dass er abgerissene Finger, Hände, Beine annähte, nicht bloß Ohren … Er stürzte zum nächsten Münztelefon, und Forceps war zu Hause, und wie sich Forceps freute über ihn! Bartholomäus müsse auf der Stelle zu ihm kommen … Ohren, Finger – ein Klacks! In eine Zellophantüte und ab in den Kühlschrank, morgen nähen wir alles
wieder an … für euch ist das schlimm, aber für uns Ärzte ist das nicht schlimm … schlimm ist nur, wenn du ein Messer aus einem Herzen ziehen musst, falls der Mensch noch lebt, und falls er tot ist, ist es nicht mehr schlimm … »Wieso Messer, wieso Herz!« Bartholomäus erstarrte, schweißbedeckt. »Weißt du noch, wie wir auf der ›King of Something‹ unterwegs waren? Ich war damals bescheidener Schiffsarzt, wenn man sich das vorstellt! Sei doch nicht so besorgt, wird alles wieder okay. Erinnere dich, wie wir beide die ganze Schiffsapotheke ratzekahl leer gesoffen haben! Und bis zum Ende der Fahrt hab ich alle nur noch mit Kerosin behandelt. Und nicht ein Mann der Besatzung fiel während der Fahrt aus, nicht einer war krank! Frisch wie Gürkchen gingen sie an Land! wie ungenießbare allerdings … Warum ungenießbare, fragst du? Weil sie doch alle nach Kerosin stanken!« Forceps kugelte sich vor Lachen. »Komm auf der Stelle zu mir! Was heißt – deine Frau Mutter, was stammelst du da … ein Bruch? auch sie stellen wir auf die Beine! und auch gleich morgen … Rollstuhl? wieso Rollstuhl … von denen hab ich Tausende, von deinen Rollstühlen, nimm, welchen du magst! Als ob ich einem Freund so einen Firlefanz nicht gönnen würde! Hör mal, hätte nicht gedacht, dass du so eine Nervensäge bist! Du kriegst deinen Weihnachtsbaum. Woher? den fälle ich einfach auf meinem Grundstück! Jetzt mach halblang, mein Grundstück, was ich möchte, das tu ich …«
    Forceps war vollkommen betrunken. Bartholomäus entriss ihm die Axt, mit der Forceps aufs eigene Bein zielte. »Hör mal, weshalb hast du geheiratet?« hatte Forceps beim Ausholen gefragt. »Um dich zu retten«, hatte Bartholomäus versetzt und ihm die Axt entrissen. »War ich tatsächlich mal verliebt?!« – »Warst du.« – »Welch ein Glück, dass ich nicht verheiratet bin, dazu noch aus Liebe!« Und damit entfernte Forceps, auf Bartholomäus' Bein zielend und nur einmal ausholend, professionell, mit einem einzigen Hieb, ein flauschnadliges Tannenbäumchen vor seiner luxuriösen Villa im elisabethanischen Stil – einem Inselchen Großbritanniens im Lande der Froschesser. »My home is my castle«, erklärte er dem Kammerdiener,
der unter einer Pokermienenmaske entschiedene Missbilligung zum Ausdruck brachte, »wenn ich möchte, fackel ich es ab. Geleite Seine Majestät ins Telefonzimmer und verbinde ihn mit seiner Residenz.« Und – welch ein Glück! – die verwitwete Königinmutter war rundum zufrieden: Maggie war zurückgekehrt! Du kannst dir nicht vorstellen, wie prachtvoll unsere Maggie ist! sie hat mir die Haare gewaschen und Locken gelegt! zu reizend … Nein, meine Stimme ist normal, ich kann bloß nicht gut reden … Nein, sie sind nicht

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