Der Symmetrielehrer
zurückgekehrt, hätten sie denn zurückkehren sollen? Ich versichere dir, niemand außer Maggie … ich kann bloß nicht gut reden, weil ich den Spiegel in der Hand halte. Nein, kein Telegramm, keiner ist eingetroffen. Ah, wir werden noch Gäste haben zu Weihnachten? prachtvoll! Komm rasch nach Haus, du wirst mich nicht wiedererkennen … Soll ich dir Maggie geben?
Das mit Maggie war nicht ganz klar, na ja, fast klar: Sie hatte erfahren, dass die Herzogin an Weihnachten nicht da wäre. Die Herzogin fand Maggie unerträglich, Bartholomäus konnte absolut nicht verstehen, warum – eine bessere Favoritin hatte der Prinz ihnen nie zugeführt. Die Königinmutter vergötterte sie hingegen, und Bartholomäus verstand sie. Der Herzogin war unfassbar, was alle an ihr fanden; Bartholomäus war unfassbar, was Maggie bloß an seinem Sohn fand. Sowas von selbstlos! wie immer im nötigen Moment, wie immer die Rettung, wie immer half sie aus der Klemme! ›Die liebe Maggie!‹ Bartholomäus war gerührt. ›Hat sie wirklich was gehabt mit diesem Luftikus?‹ dachte Bartholomäus aus irgendeinem Grund. ›So eine ist sie doch nicht …‹
Mit Maggie redete Bartholomäus nicht auch noch, für alle Fälle hinterließ er Forceps' Telefonnummer, und beruhigt (schnell kommen nur schlechte Nachrichten, die Herzogin jedoch war noch unterwegs) begab er sich aus dem Telefonzimmer ins Anrichtezimmer, wo Forceps sich an einem unglaublichen Rezept verkünstelte: einem königlichen Krug voller »Resektion des Tages«.
Am Morgen herrschte leichter Frost und fiel leichter Schnee – klassisches Weihnachtswetter. Forceps, in den Rang eines Ad
mirals erhoben, kutschierte König Bartholomäus in einem luxuriösen Rollstuhl neuster Bauweise, an dem Speichen und andere Nickelteile von vielfältiger und noch nicht gänzlich erkennbarer Zweckbestimmung kostbar funkelten. Der König hielt Forceps' chirurgischen Arztkoffer in den Armen, in dem die schweren Instrumente irgendwie nicht metallisch, sondern gläsern klirrten, außerdem das gestrige Tännchen. Sorgfältig rasiert, den Orden der Ehrenlegion im Knopfloch, stand hinter ihm auf dem Wagentritt Admiral Forceps. Aufgeregte Untertanen kindlichen Alters rannten hinterdrein, johlend und Konfetti streuend. Der Polizist an der Ecke salutierte.
Und so, mit Arztkoffer und Tännchen, als wären es Szepter und Reichsapfel, und mit einem Groom in Admiralsrang auf dem Wagentritt, fuhr König Bartholomäus in den engen Hof der eigenen Residenz ein. Die Equipage ließen sie beim Lift stehen, und sich gegenseitig stützend und sich bald am Tännchen, bald am Arztkoffer festhaltend, stiegen sie nach oben. Aber der Schlüssel passte nicht ins Schlüsselloch. Er gehörte zu einem ganz anderen Schloss, das hier war ein französisches, das andere selbstverständlich ein englisches. Womöglich war der Schlüssel sogar von einer anderen Tür, womöglich von Bartholomäus' Büro. Und andere Schlüssel hatten sie nicht, Forceps nahm nie Schlüssel mit, Forceps hatte dafür einen extra Schlüsselbewahrer. Aufs Klingeln reagierte absolut niemand. Aufs Klopfen auch nicht.
Die Unruhewelle, die den König überschwappte, hatte den Geschmack des gestrigen Gesöffs. Er stieg wieder hinunter, um zu telefonieren, niemand nahm den Hörer ab, dann entdeckte er, dass der Rollstuhl nicht mehr am Lift stand. Verzweifelt stieg Bartholomäus wieder nach oben – auf dem Treppenabsatz war weder Forceps noch das an die Tür gelehnte Tännchen. Bartholomäus kratzte kläglich an der Tür und hörte dahinter nur Wassili den Blinden husten. Darauf hämmerte der König gegen die Tür und brüllte aus aller Kraft: »He, ist da jemand?!« Und hörte erleichtert, wenn auch durch die Entfernung gedämpft, wie die Königinmutter ziemlich durchdringend schrie, ob nun »Barthelchen!« oder »Wo treibst du dich
rum?«. – »Mutter, warum nimmst du den Hörer nicht ab«, schrie Bartholomäus, an die Tür gepresst. »Warum rufst du nicht an?« schrie die Mutter zur Antwort. »Ich habe morgens die Schlüssel vergessen!« brüllte Bartholomäus. »Wo dein Sohn hin ist, weiß ich nicht«, erwiderte die Mutter. »Und wo ist deine Maggie?« – »Madeleine kommt heute nicht, sie hat Besuch von ihren Enkeln!« – »Ist kein Telegramm gekommen?« – »Irgendein Bündel wurde gebracht!« – »Womit? Was für ein Bündel?« – »Ich such jetzt deine Schlüssel … deine Schlüssel find ich, sag ich!« – »Um Gottes willen, kriech bloß
Weitere Kostenlose Bücher