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Der Symmetrielehrer

Der Symmetrielehrer

Titel: Der Symmetrielehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Bitow
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Mond uns zu und die Antarktis genauso!«
    Sie werden fragen: Aber wer ist denn Tischkin, doch nicht Anton selbst?
    Das nun wirklich nicht. Tischkin ist der Held unseres Sujets.
     
    Tischkin war Bomber (also Terrorist, würden wir sagen), aber kein Kämpfer, sondern ein gelehrter Mann, der nur die Herstellungstechnik entwickelte, wofür er dann auch nach Tobolsk verbannt wurde. Von der primitiven Plackerei mit den Bomben befreit und als Lehrer an einer Realschule untergeschlüpft, widmete er sich endlich seiner geliebten Wissenschaft und erfand eine Rakete, um zum Mond zu fliegen. Dass der große Mendelejew auch aus Tobolsk war, beflügelte ihn ungemein. Die wissenschaftlichen Interessen von Dr. Tischkin waren allerdings viel zu vielfältig, um ihn nicht von der Hauptaufgabe abzulenken: die regionale Flora und Fauna, die Mineralogie, die Astrologie, die Folklore … Er konzentrierte sich auf alles und nichts, war hochgewachsen, breitschultrig, bleich und schwarzbärtig, und die ortsansässigen jungen Mädchen hatten sich im Handumdrehn in ihn verliebt, er aber be
merkte das gar nicht, insofern er selbst schon besinnungslos verliebt war, wobei seine Auserwählte das ihrerseits nicht bemerkte.
    Sie war keine Schönheit und kein junges Mädchen, sondern klein, rund, rotbackig und drall wie ein Radieschen. Wohl kaum hätte man in diesem kleinen Körper eine derart unglaubliche Stimme vermutet! Sie sang im Kirchenchor, berühmter jedoch war sie für ihre uralten Volksweisen, die sie bei verschiedenen Omas aufgeschnappt und sich exakt gemerkt hatte; Tischkin hatte sich zuerst für sie als folkloristisches Naturtalent interessiert. Ein Naturtalent, gediegen wie Gold, war sie wohl auch; wenn sie losschmetterte, floss jedem das Herz über – aber sie hieß schlicht Manja, und schlicht war sie auch. Einen Ruf hatte sie, wie er leichtsinniger nicht sein konnte, und sie war kein Kostverächter, weder beim Alkohol noch bei ihren Verehrern. Niemand konnte mit Sicherheit sagen, wem sie den Vorzug gab, deshalb standen alle in Verdacht, was unserem Tischkin auch immer zugetragen wurde. Er dagegen war, wie man so sagt, ihr verfallen , doch war er einer von denen, für die Eifersucht die Hauptquelle der Leidenschaft ist – je mehr er im einen versank, desto größer wurde das andere.
    Anton musste sich immer den Bauch halten vor Lachen, wenn er durch die Zwischenwand mithörte, wie Tischkin mit Manja die Beziehung klärte. (In dem Zimmer quietschten Bett und Dielenbohlen ganz besonders, die Quietscher unterschieden sich in der Tonlage, à la knarz-knarz und quietsch-quietsch .) Hatte er seine ersten, unbezwingbaren Lüste befriedigt, sich was eingeschenkt und ihr »raschnwiski« ans Bett gebracht, rauchte er, um seiner Befriedigung Bedeutung zu verleihen, seine Pfeife an (er hatte so einen langen Tschibuk) und wanderte von der einen Ecke zur anderen, wobei nun die Dielenbohlen quietschten.
    »Verstehst du, meine Manja, Merkur befand sich an jenem Tag in besonderer Nähe zu deinem Mond. (Weißt du noch, gerade an jenem Tag fand ich ein für diese Breiten äußerst seltenes Exemplar von Coitus nekropolis?)«
    »War das da, wo du die Wanze gefangen hast?« Manja ki
cherte (sie wurde rasch müde unter seinen Reden und rasch blau).
    »Wanze sagst du, von wegen!« empörte sich Tischkin. »Wanzen kommen in Lauben nicht vor! Sag mir lieber, wohin du damals gerannt bist aus der Laube! Gesagt hast du, du müsstest zur Chorprobe, aber was für eine Chorprobe, wo ich dich erst gegen Morgen in einem zerzausten Heuschober gefunden habe, selber ganz zerzaust!«
    »Ja, hätte ich mir vielleicht noch länger was über deine gliederfüßigen Ohrrüssler anhören sollen? Um die scharwenzelst du herum, aber mir sagst du nicht mal ein freundliches Wort!«
    »Wie sagst du, Ohrrüssler?« Tischkins Stimme klang selbstzufrieden. »Also wie – bist du auf Wanzen eifersüchtig?«
    »Das fehlt grad noch!« Manja wieherte. »Komm schnell, ich hab eine richtige gefangen.«
    Und erneut veränderte das Quietschen seine Tonlage.
    Ein gescheiter Mann, hätte man meinen sollen, aber je mehr er sich den offenkundigen Tatsachen annäherte, desto weniger war er imstande, sie sich bewusst zu machen und zu akzeptieren. Andrerseits glaubte er als Wissenschaftler wiederum nur den Tatsachen, und die entwand ihm Manja mit Leichtigkeit.
    »Hör mal!« brauste er auf. »Ich muss doch wissen, wann du lügst und wann du die Wahrheit sagst?!«
    »Weiß ich es denn?« Sie

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