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Der Symmetrielehrer

Der Symmetrielehrer

Titel: Der Symmetrielehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Bitow
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wir, geboren wurde ich in Batki, in my father's place, aber Gold gewaschen habe ich jenseits des Baikalsees. Bei Gold sagt ihr ja nicht ›place of birth‹?«
    Anton gefiel mir. Und er spürte das.
    »Ja, ich sage Ihnen: Der russische Mensch ist ebenfalls mestorozhdeniye, ebenfalls Gold. Ihn müsste man bloß erschürfen, fördern, abschlämmen und aufbereiten. Dann die Sprache … Die haben wir natürlich. Und gar keine schlechte. Nicht schlechter als eure. Die braucht weder gefördert noch abgeschlämmt, noch aufbereitet zu werden – bloß erschürft. Das Wort ist bei uns gediegen, es ist noch nicht in Synonyme zerfallen, ist ganzheitlich vieldeutig. Sagen Sie doch selbst: Was ist in Ihrer Sprache die Hauptsache?«
    »«
    »Na, wer herrscht über alles? wer ist der Chef?«
    Ich begriff nicht gleich, dass er die Satzglieder im Sinn hatte.
    »Das Zeitwort!« Anton freute sich über meine Begriffsstutzigkeit. »Nicht umsonst habt ihr so viele Zeiten!«
    Man sage, was man will, aber ein Kompliment für die Muttersprache ist nicht weniger angenehm als für die Katze ein freundliches Wort. Ich stimmte zu – ja, das Zeitwort.
    »Und was ist es bei den Deutschen?« fragte Anton als nächstes.
    »Wie – Sie können auch Deutsch?«
    »Will ich gar nicht können! Ich weiß bloß, dass bei ihnen jedes Ding mit einem großen Buchstaben beginnt und dass sie vor jedem ihrer Gegenstände eine Verbeugung machen: der Stol, der Stul, das Kniga, der Powarjoshka.« [ 12 ]
    »Interessante Beobachtung.« Der Deutschen wegen war ich nicht beleidigt. »Das Russische gefällt mir auch, seiner Musik nach klingt es wie das Portugiesische. All diese ZH und SHCH  …«
    Das war nun auch für Anton angenehm.
    »Ja«, pflichtete er mir bei, »Phantasie haben wir. Жопа … щастье [ 13 ]  …« Er ließ sich die Wörter auf der Zunge zergehen. »Komisch, dass wir wenigstens da zu einem Ende kommen, auf den Punkt. Eines nur ist allen Sprachen gemeinsam« – er geriet noch mehr in Fahrt – »und das ist der Punkt! ›Am Ende eines Satzes [ 14 ] muss ein Punkt stehen!‹ Spüren Sie den Unterschied zwischen ›sentence‹ [ 15 ] und ›proposal‹? Genau da verläuft der Riss zwischen Freiheit und Tat. Die Mohammedaner …«
    »Was hat das denn mit den Russen zu tun??«
    »Darauf will ich ja hinaus.« Er kehrte zurück wie ein Bumerang. »Bei uns spielt weder das Zeitwort noch das Hauptwort eine Rolle, einzig das Beiwort! Sogar русский, Russe, ist kein Hauptwort, sondern ein Beiwort. Vielleicht zum Wort ›Mensch‹. Aber dieses Wort wird ausgelassen.« Anton zog eine betont kummervolle Miene. »No man!« Dieses »noumän«
klang bei ihm irgendwie besonders zärtlich und musikalisch – wie »knowmen«. Mir war sogar, als hätte er aufgeschluchzt.
    Ich hatte nicht verstanden, was die Mohammedaner dabei sollten, und wir gingen auseinander, jeder zu seiner Sprache. Na pososhok. [ 16 ]
     
    Tags darauf redeten wir worüber? über dasselbe.
    Wenn ich meiner Verwunderung über die Paradoxie seines Denkens zu stark Ausdruck gab, errötete Anton leicht, wurde verlegen, schlug die Augen nieder und murmelte:
    »Das bin nicht ich, das ist alles my Tishka . «
    Aber Tischka war weder sein Doppelgänger noch sein Spitzname, noch ein intimer Körperteil.
    Es war sein engster Freund Tischkin, ein großer Gelehrter, der einen Apparat für den Flug zum Mond erfunden hatte.
    Auch wenn ich mich inzwischen hütete, ihm nicht zu glauben, dermaßen hatte sich alles letztlich bestätigt, hätte ich doch gerne mehr erfahren, nicht über den Mond, sondern über die Umstände von Robert Scotts Tod. Hier jedoch versiegte sein Redefluss irgendwie besonders geheimnisvoll, und seine Wangenmuskeln begannen zu spielen.
    »Bei euch heißt es, ein lebendiger Hund sei besser als ein verreckter Löwe. Ich sage euch aber: Wenn der Löwe ein Fuchs wäre, wäre er schlau!« (Wie schon gesagt, machte Anton gerne Staat mit seinem Englisch, wobei er in diesem Fall keine Ahnung hatte, dass er William Blake zitierte.)
    »Den bringe ich um!« verkündete er entschieden.
    »Wen denn?« wollte ich wissen.
    »Ach, diesen Hering!«
    Wie sich zeigte, hatte er Roald Amundsen im Sinn.
    »Aber weshalb?«
    »Der hatte die besseren Hunde! Und das hat er ausgenützt … Ach, Robert, Robert! Warum hast du nicht auf mich gehört? Warum hast du mich nicht mitgenommen?«
    Und Anton brach in Tränen aus.
    Seiner Aufrichtigkeit musste man ebenfalls Glauben

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