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Der Symmetrielehrer

Der Symmetrielehrer

Titel: Der Symmetrielehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Bitow
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Stand der Sterne in Einklang zu bringen und die Sterne mit der Abfolge der chemischen Elemente, aber alles eigentlich mit dem einen Ziel, Manja endlich der konkreten Untreue zu überführen. Was sich ergab, erinnerte jedesmal eher an ein Kreuzworträtsel als an Wissenschaft, beständig war allein das Wort »Manja«. Die Glieder schlossen sich nicht zur Kette, Manja entschlüpfte. Sie entglitt ihm in Teilen, mal ein Arm, mal ein Bein, mal ein Ohr … Manja wurde zur Manie.
    Die Ferienzeit rückte heran, und vor lauter Verzweiflung ent
schied er sich, eine kürzere Expedition anzutreten, um seinen Flugapparat zusammenzubauen. Er brauchte dazu einen Gehilfen, und da kam Anton gerade recht. Sie passten zueinander; Tischkin nannte ihn nun Toschka, und Anton seinen Chef Tischka.
    So traten Tischka und Toschka ihre Expedition an, sie fuhren mit dem Floß den Irtysch hinab, möglichst weit weg von der Menschheit, landeten an einem Inselchen in Ufernähe und begannen, die Apparatteile zusammenzubauen. Eins fügte sich ideal ans andere, Teil an Teil … aber statt einer Rakete kam ein Brennapparat heraus.
    Toschka hatte ihn im Nu gebrauchsfertig gemacht, er ließ den Expeditionsleiter zur Beaufsichtigung des Prozesses zurück und begab sich selbst auf die Jagd nach einer soliden Grundlage. Zurück kehrte er mit einem Eberchen und traf seinen Chef tief schlafend vor, den Kopf fast im Brenner. ›Hat gehörig probiert‹, erkannte Toschka; er stellte für das tropfende Feuerwasser ein Gefäß unter und zerwirkte dann das Eberchen in Schaschlykbrocken. Als er mit allem fertig war, weckte er Tischka mit den Worten: »Schreiten wir zum ersten Start!« – und sie begannen zu trinken.
    »Wie kann das sein«, redete Toschka auf Tischka ein, »die schönsten, besten Mädchen der Stadt sind in dich verliebt, und du verfällst dem ersten besten Frosch! Ich versteh dich nicht.«
    »Dann musst du ihn eben küssen!« Tischka lachte zur Antwort. »Kennst du das Märchen vom Froschkönig?«
    »Hat sie dir das eingeredet? Aber das war ein sprechender Frosch, und du hast einen singenden … versteh ich nicht!«
    »Kann man jemanden verstehen, der selbst zu verstehen sucht?«
    »Da hast du jetzt etwas Wahres gesagt«, stimmte Toschka zu. »Aber was ist dann mit der Wissenschaft?«
    »Das ist es ja gerade, Manja und die Wissenschaft, das ist ein und dasselbe! Ich suche ja nicht eine allgemeine, eine richtige Antwort, sondern meine ! Die Aufgabe habe ich mir selbst gestellt, nun steht sie vor mir. Und erst wenn ich sie löse, ist sie
auch für alle gelöst. Andersrum geht das nicht. Das ist nichts, was man besser oder schlechter machen könnte, ist kein Stuhl und kein Pfannkuchen, der beim ersten Mal klumpt. Da ist es immer dasselbe Material, woraus sie hergestellt werden. Nur die einzigartige Lösung verändert das Material! Oh, wie ich die Alchemisten verstehe! Die haben ja nicht des Profits wegen nach Gold oder dem Lebenselixier gesucht, sondern der Entstehung von Materie wegen! Denn das Denken selbst ist Materie. Aber das steht nicht in des Menschen Macht, sondern nur … will gar nicht sagen, in wessen … Dessen, Der das WASSER schuf!«
    Als ergebener Schüler brachte Toschka es fertig, mit offenen Augen zu schlafen.
    »Denn Sein Denken ist das allerpräziseste Gerät! Der wahre Wissenschaftler kann nicht ungläubig sein, wie auch der wahre Gläubige nichts anderes sein kann als Materialist. Gebt Gott, was Gottes ist! Sonst fallen wir stets dem wissenschaftlichen Irrtum zum Opfer – zu zweit allein mit dem seelenlosen Gerät und dem betrunkenen Laboranten, der die Reagenzgläser schlecht spült. Ein Dritter muss her. Ein Beobachter! Ohne einen Punkt weiter oben ist das Experiment unmöglich. Wo ist die Kontrolle darüber? Wo ist die Kontrolle über die Erfahrung des Experiments?! frag ich dich!«
    »Ich spüle Ihnen die Gläser immer gut«, murmelte Toschka.
    »Ich mache dir gar keinen Vorwurf. Was könnte faszinierender sein, als dem Denken eines großen Mannes zu folgen? hat schon unser Puschkin mehrfach gesagt. Also, du sagst: Manja, sagst: Schönheit … Und ich sage, dass Schönheit das Werk unseres Gesichtssinns ist, keine objektive Gegebenheit. Was weißt du vom Gefühl der Blume, wenn die Hummel sie besucht? Oh, wenn das Ohr wiedergeben könnte, was es hört! Ich werde solch ein Sprechendes Ohr schaffen!«
    »Sowas wie ein Echo?« wunderte sich Toschka. »Aber das spricht sowieso.«
    »Ach was, kein Echo – ein Ohr!«

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