Der Symmetrielehrer
sein?« kokettierte Urbino.
»Weshalb denn. Bloß sind Sie wohl eine Eule.«
»Wohl schon. Und Sie?«
»Ich bin eine Lerche.«
»Folglich sind wir unterschiedliche Vögel«, seufzte Urbino.
»Dafür haben wir ein und dieselbe Sonne.« Lili überließ ihm einen Teil des Sonnenuntergangs, als wäre er ihr Eigentum. »Schauen Sie, links oben, der Mond! Schön, nicht?«
»Gar kein Ausdruck. Möchten Sie was dazu hören?«
»O ja.«
Urbino atmete tief ein, heftete seinen Blick auf den letzten, nicht mehr blendenden roten Streifen und begann:
Die Sonne wusste nicht, wie rot sie sank,
Der Wind sah nicht, wie er das Meer aufrauhte,
Grau war der Meeresspiegel nicht für sich,
Auch ahnte nicht der Baum, worauf er schaute.
In Nachtesdunkel ewig eingesperrt,
Sich selbst nicht sichtbar, standen sie und brannten,
Beherrschten souverän der Wellen Spiel,
Obgleich sie weder Laut noch Licht erkannten.
Der Himmel wusste nichts vom Mondaufgang,
Vom Sonnenuntergang, des Tags Verklingen.
Ein Nichterkennen selbst im Wellensang –
Es wusste niemand etwas. Darum ging es.
Wozu jag ich das Ufer hier hinauf?
Ein rosaroter Vogel schwebt am Himmel.
Wohin bin ich gerannt? Ich stock im Lauf.
Da steh ich nun, kann mich an nichts erinnern.
Es kläffen Köter. Tief mein Angesicht
Verneig ich vor dem Meer, wo Schatten beben,
Geselle stumm zum Sang der Vögel mich –
Unsterblichkeit erhellt mir nun die Seele.
Die Kiefern rauschen, letztes Wolkenrot,
Der Wind braust auf, er spürt hautnah den Abend,
Erstirbt dann. Aber »Tod besiegt den Tod«:
Fährt hoch zum Himmel – und muss doch erlahmen.
Wer glaubt, sperrt auf das Schloss zum Paradies,
Wen amüsiert denn schon die eigne Schöpfung?
Die Haare stehn zu Berg? Ach, nein, es blies
Ein Lüftchen, zaust dem Törichten das Köpfchen.
Wer Häuser baut, wohnt gar nicht selbst darin.
Wer Leben schafft, sucht es nicht zu verstehen.
Die Eingebung weiß nichts von ihrem Sinn.
Brich lieber auf, du findest dich im Gehen.
»Wunderbar!« Lili breitete die Arme aus, drückte ihm dann die Hand. »Und – haben Sie das auch soeben erst …??«
»Ich will nicht schwindeln.« Urbino senkte den Blick. »Es gefällt mir bloß mehr als die anderen.«
Verlegen und geschmeichelt, ließ er ihre Hand nicht mehr los.
Leicht wie Kinder, wie beim Schaukeln oder am Rundlauf, hüpften sie von der Düne hinab zum Meer.
»Lassen Sie uns baden!« schlug Urbino vor, nicht ohne Hintersinn.
»Darf man nicht bei Sonnenuntergang«, erklärte Lili.
»Wieso das denn?«
»Kann zu Fieber führen.«
»Wie Sie wollen. Aber ich bin Wasserimperialist! Bin ich wo zum ersten Mal, muss ich sofort baden.«
Schon riss er sich alles vom Leib, ruckte die breiten Schultern und ließ die ungebräunten kleinen Gesäßbacken blitzen (seiner Hinteransicht durchaus bewusst), um wie ein Torpedo ins Wasser zu tauchen und in stürmischem Kraul dem Horizont zuzustreben. Als er abschlaffte, hörte er es hinter sich sanft plätschern. Lili schwamm, geräuschlos wie ein Fischlein, hinter ihm und stand ihm keineswegs nach.
»Wieso haben Sie solche Angst vor dem Wasser?« spöttelte Lili.
»Ich! Angst?«
»Aber ja, als hätten Sie Angst, Wasser zu schlucken.«
Urbino war beschämt über seine Kinderei.
Genauso geräuschlos ließ sie ihn im Bereich der Brandung vor. Ihre Nachgiebigkeit verwirrte und erregte ihn.
»Fischlein, du mein Fischlein«, stammelte er und leckte von ihren Schultern und Brustwarzen die Salztropfen.
Doch zu kühneren Liebkosungen konnte er sich dann nicht entschließen, er wollte nichts riskieren (allzu gefügig und nachgiebig war sie), irgendwas hielt ihn zurück beim Streicheln ihres seidenweichen (iii! Ü. ) Schoßes.
»Was meinst du, wovon singt das Vöglein?« fragte Lili verlegen, wobei ihr »Vöglein« auf sein »Fischlein« reagierte.
»Das Vöglein ist ein Er. Er ruft seine Freundin.«
O diese Zaghaftigkeit, diese Verlegenheit, diese Schüchternheit, quasi Unzugänglichkeit, als wärs das erste Mal … und nur für dich, für dich allein … diese Pause … ›Diese Pause nämlich ist es, was die Leute später Liebe nennen, auf der Suche nach dem Verlorenen‹, so dachte Urbino, während er sich entspannt in den Pausen ausruhte und rauchte, mal zum Himmel hoch, mal zur Decke der Speicherkajüte, die ihm für sein kreatives Alleinsein zugeteilt worden war.
»Du behauptest also, ich hätte Angst vor dem Wasser. Vielleicht habe ich ja Angst davor, doch nicht so, wie du denkst.
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