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Der Symmetrielehrer

Der Symmetrielehrer

Titel: Der Symmetrielehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Bitow
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Sogar vor dem Trinken habe ich Angst, denn es ist – lebendig! Es könnte sich auf einmal nicht schlucken lassen. Vor dem Meer habe ich sogar weniger Angst, ich hatte bloß mit Schiffen nie Glück. Den Äquator zu überqueren habe ich mich gezwungen – ja und? Eine Begleiterscheinung, kein Ziel.«
    Und er schloss Lili fester in die Arme, um ihr zu beweisen, dass sie kein Äquator sei – ein Ziel, keine Begleiterscheinung. Lili reagierte auf ihre Weise:
    »Hast du je darüber nachgedacht, warum den einen das eine und den anderen was anderes, wieso Verschiedenen Unterschiedliches zufällt? Sagen wir, reich und arm, schön und hässlich – das ist noch irgendwie verständlich. Begabt und un
begabt, das ist schon schwieriger … und klug oder unklug, damit kommt man gar nicht mehr zurecht. Oder sagen wir: Mann und Frau – warum? Warum bist du ein Mann, bin ich eine Frau und nicht umgekehrt?«
    »Dann komm, andersrum!«
    »Habe ich vielleicht gefragt, wer von uns wer ist?«
    »Und wie ist das mit Hund und Katze?«
    Während Urbino über das Schritt-für-Schritt weiterer und weiterer Aktionen nachdachte, seine früheren Erfahrungen durchforstete und darin eine Einheitlichkeit der Anfänge entdeckte, erregte ihn schon allein, dass ein Wunder neben ihm lag, noch gefühllos und unbeweglich, doch bereits warm … das Wunder eines anderen Menschen!
    ›Wie ein Kind, ehrlich …‹, wunderte er sich über sich selbst, als entdeckte er zum erstenmal, dass ein anderer Mensch auch einen anderen Körper haben kann, eine andere Brust, einen anderen Bauch, andere Hüften und … eben! und nicht dieses alberne Schwänzchen wie bei ihm, sinnierte Urbino selbstzufrieden. Sein »Schwänzchen« war sogleich gekränkt und plusterte sich auf, stellte eine alte Kanone auf Rädern dar. Und Urbino bemächtigte sich wieder und wieder der gefügigen Lili, er wollte sogar schon, sie solle schwanger (trächtig?) werden … In diesem Augenblick piepste sie schwach wie ein Mäuschen.
    »Bist du auch endlich gekommen?«
    »Wie kannst du nur?! du bist doch Dichter … Verwende bei mir nie diesen grässlichen Ausdruck!«
    Sie drehte sich zur Wand um und schluchzte auf.
    »Ein widerlicher Ausdruck, verzeih. Verzeih doch! Wird sich nicht wiederholen!«
    Und auch das gefiel ihm. Und er wusste es zu nutzen. Dass er ihr die Tränen von den Wangen leckte, rührte ihn, und er konnte wieder (sie anscheinend auch).
     
    So dass er gegen Morgen, nun am anderen Ufer, auch einen für ihn seltenen Sonnenaufgang erlebte. Die Sonne blickte eben erst hervor, mit nicht mehr tiefrotem, sondern goldenem Rand rollte sie hinterm Horizont vor, seltsamerweise viel langsamer,
als sie untergegangen war. Urbino war übervoll von Gefühlen …
     
    Seelchen du, mein Herzchen, meine Fee,
Deinetwegen existiert das E !
Sagst du nun zum ersten Mal mir DU ,
Dazu brauche ich den Buchstab U .
Wozu brauche ich den Buchstab I ?
Um zu sagen dir: Ich hab dich l IE b.
Schließlich brauche ich den Buchstab EI :
WEI l ich nichts mehr w EI ß vom Sinn des SEI ns! [ 39 ]
     
    »Und wann hast du das geschrieben?«
    »Gar nicht.«
    »Und wem ist es gewidmet?«
    »Dir.«
    »Wann ist dir das denn gelungen??«
    »Soeben.«
    »Dann komm schnell baden!« rief Lili.
    »Also, bei Sonnenaufgang darf man?«
    »Bei Sonnenaufgang darf man alles!« Und sie hing ihm am Hals.
    Und sie waren nackt wie im Paradies.
     
    Dann lösten sie Kreuzworträtsel. Wie sich zeigte, hatte Lili eine große Schwäche dafür. Sie schleppte einen ganzen Haufen an, die meisten schon gelöst.
    »Oft sind sie blödsinnig, aber es kommen auch höchst amüsante Formulierungen vor. Schau, was ist das: Karten mit Einband, aus fünf Buchstaben?«
    Urbino dachte ernsthaft nach. Lili konnte sich nicht mehr beherrschen:
    » Atlas !« platzte sie heraus.
    »Wieso bin ich nicht gleich drauf gekommen!«
    »Und das? Von wo sind die komischen Käuze auf die Erde gefallen? Na? Vier Buchstaben …«
    »Vom Mond, oder?«
    »Prima! Vom Mond . Bist du auch von dort zu mir herabgefallen?« Lili umarmte ihn. »Du kannst dir nicht vorstellen, wie langweilig es hier ist ohne dich … Geschafft hat mich diese psychische Ausstrahlung !«
    »Die meinige?«
    »Unsinn! Aus sieben Buchstaben.«
    Urbino, fast schon stolzgebläht, legte das Gesicht in Kummerfalten.
    »Und was war es?«
    » Fluidum !«
    »Sag mal, erinnerst du dich an jedes Kreuzworträtsel?«
    »Nicht an jedes. Bloß, wenn ich mit dem Kreuzworträtselerfinder nicht einig bin.

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