Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Symmetrielehrer

Der Symmetrielehrer

Titel: Der Symmetrielehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Bitow
Vom Netzwerk:
be
sonders. Aber dort habe ich gelernt, aus dem Kaffeesatz wahrzusagen. Bei diesen, wie heißen sie nur? … Oligophrenen … Oligarchen … nein, nein, natürlich weder Marodeure noch Romadure … auch nicht Dramoleure … so ganz arme, fast im Urzustand lebende … aber sehr liebe Menschen … auch nicht Dromedare, das sind ja gerade ihre Kamele … auch nicht Druiden, es gibt dort keine Bäume, nur Sahara … Wie heißen sie bloß? Dreadnoughts? Das seien Kriegsschiffe, sagen Sie? Nein, nein, nein! Noch vor kurzem hatte ich sie in einem Kreuzworträtsel! Also wirklich! Was für ein vergessbares Wort! Habe ich etwas Falsches gesagt? Vergessliches Wort?«
    »Sie haben es wunderbar gesagt! Besser geht es nicht. Das ist bereits Poesie.«
    Er kannte das Wort. Es fing mit T an. Aber irgendwas (oder irgendwer?) hinderte ihn, es laut auszusprechen. Er war in der Sahara gewesen. Tatsächlich, sehr liebe Menschen. Dika in ihrer Gutmütigkeit wollte ihnen etwas abkaufen, doch die ganze Sippe suchte sie davon abzubringen: Nehmen Sie das nicht, nehmen Sie das nicht! schauen Sie, das da, ist doch viel schöner und billiger! Sie steckten ihr weiß der Geier was zu. Urbino verscheuchte die Erinnerung, und erstaunlicherweise war das Wort wie weggeblasen aus dem Gedächtnis, sobald er beschlossen hatte, es Lili nicht zu sagen. Trilobyten? – nein, das sind diese alten Versteinerungen. Ein Wort! war gerade noch da und jetzt nicht mehr. So etwas war ihm noch nie passiert, dass ein Wort sich so verflüchtigte. Wie ein Wassertropfen in der Sahara.
    »Sie halten mich also nicht für vollkommen blöd? Ich bin nicht sehr gebildet und habe lange mit niemandem geredet. Sie müssen entschuldigen, wenn ich was nicht ganz richtig …«
    »Nicht doch, nicht doch! Sie haben ein wunderbares Gefühl für Sprache!«
    »Angenehm, das von einem Dichter zu hören. Marleen hat übrigens auch Gedichtchen verbrochen … Schauen Sie mal.«
    » Da rutscht der Engel auf dem Flügel aus  …«, murmelte Urbino. »Hören Sie, das ist gar nicht schlecht!«
    »Was versteht diese Teufelin von Engeln?«
    » Ein Zweiglein schwankt in all der Stille … O wüsste ich, was es mir sagen will? [ 38 ] Das ist schon ganz wunderbar!«
    »Ihre wohlwollende Einschätzung werde ich ihr unbedingt übermitteln.« Lili presste die Lippen zusammen.
    »Bei mir kam mal was Ähnliches vor«, fuhr Urbino lebhaft fort. »Fällt mir nicht mehr ein. Wie bei windstillem Wetter die Bäume während des Sonnenuntergangs einschlafen. Alle ihre Zweiglein rühren sich, bevor sie unbeweglich erstarren. Sie bewegen sich von selbst, nicht veranlasst durch äußere Einflüsse! Besonders erschüttert haben mich Sonnenblumenfelder …«
    »Wie bei van Gogh, ja?«
    »Bei ihm sind es Sonnenblumen, aber es gibt auch Felder bis zum Horizont. Ich habe sogar etwas entdeckt, bloß wollte kein Biologe mir glauben. An einem sonnigen Hang … Aber lassen wir das.«
    »Wieso?«
    »Im Gedicht ist es mir besser gelungen.«
    »Tragen Sie vor!«
    »Ich fürchte drauszukommen. Ein anständiger Dichter kann seine Gedichte auswendig. Kann er sie nicht, sind sie ihm nicht gelungen. Ich fürchte, mich vor Ihnen zu blamieren.«
    »Sie meinen oder sind der Ansicht …« Leicht errötet, schlug sie die Augen nieder zu seiner Tasse. »Ich sehe hier eine sehr schöne junge Frau … sie hat sich von Ihnen abgewandt, schaut zur Seite … aber wie sonderbar sie sich abgewandt hat! Sie trägt so ein langes asiatisches Gewand, eine Art Sari. Ist sie Inderin? Für ein Kamel im Kaffeesatz gibt es übrigens eine präzise Deutung.«
    »Wie findet es dort Platz? Lassen wir das Kamel. Lieber zur Inderin.« Urbino schenkte der Wahrsagerei bereits Glauben.
    »Sie haben sie sehr geliebt?«
    »Ich kam nicht dazu.«
    »Aber es geht ihr jetzt gut. Sehen Sie, als wäre sie auf einer
Wolke. Wie auf einer Filmbühne. Daneben so ein hochgewachsener, verlässlicher … der Regisseur oder ihr Mann? Und neben ihnen Kinderchen wie Engelchen … Sie ist übersät mit Juwelen. Wo ist sie jetzt?«
    »Sie hat mich verraten.«
    »Sie?? Wie konnte sie!«
    »Sie ist ertrunken, zusammen mit meinem Bruder.«
    »Sorry. Was war sie, Schauspielerin?«
    »Nein, aber etwas Ähnliches.«
    »Oh, sorry, sorry!«
    »No problem.«
     
    Urbino hätte niemals eine solche Leichtfertigkeit bei sich vermutet!
    Angereist war er mit einem Herzen, übervoll von Trauer, ausgesucht hatte er sich, deren Ungestörtheit halber, eine, soweit er sich

Weitere Kostenlose Bücher