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Der Symmetrielehrer

Der Symmetrielehrer

Titel: Der Symmetrielehrer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrew Bitow
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vorstellen konnte, unbewohnte Insel – um nun so blitzschnell alles zu vergessen, so leidenschaftlich und wollüstig in Vergessen und Versuchung einzutauchen!
    Erstens hatte Lili ein untrügliches Gefühl für Lyrik (was sich an der seinigen überprüfen ließ). Zweitens las sie wunderbar aus dem Kaffeesatz, und sofort bekam er Lust, zu dem, was sich zwanglos und kurios aus der Deutung der Kaffeesatzgraphik ergab, Verse zu schreiben. Drittens …
    »Lassen Sie uns folgendes Spiel spielen!« Urbino war inspiriert. »Sie lesen mir abends aus dem Kaffeesatz, und morgens bringe ich Ihnen Verse zum jeweiligen Kaffee-Sujet. Da muss nichts erfunden werden, das Leben selbst schenkt mir das nächste Buch. Mag es auch so heißen: ›Verse aus dem Kaffeesatz‹! Erst Ihr Text … mit einem Bildchen … Bloß, wie zeichnet man es? können Sie das? oder haben Sie einen Photoapparat?« Urbinos Augen glühten.
    »Weder kann ich zeichnen, noch habe ich einen Photoapparat …« Lili dachte nach. »Marleen hatte mal dieses Hobby.«
    Erstens … zweitens … drittens: Lili war schön.
    Etwas über dreißig, aschblondes langes Haar und graue Augen, das Gesicht von nichts berührt als von natürlicher Bräune,
glich sie einer leicht angewelkten Teerose, doch hätte sich Urbino dergleichen niemals zu schreiben erlaubt, seines Geschmacks wie der Aussage wegen. Ein Madrigal aber begann bereits zu reifen …
    Er konnte nur noch fragen: »Lässt sich nicht auch aus Teeblättern lesen?«
    »Wahrscheinlich schon, bloß kann ich das nicht.« Sie zuckte die gebräunte kleine Schulter.
    »Ich aber«, erklärte Urbino.
    Natürlich gingen sie zu Tee über.
    Urbino drehte ihr leeres Tässchen in den Händen, dabei murmelte er etwas in seinen Bart. Dann wurde er rot und legte los:
     
    Auch wenn es an Talent mir wohl gebricht
(Im Kaffeesatz, wie Sie, les ich ja nicht) –
Mir sagt jedoch der Tee in Ihrer Tasse
Gerade deutlich ins Gesicht:
Auch wenn ich mich als Mönch hier niederlasse
So blüh ich auf in Ihrem Licht,
Und wenn ich Vers um Vers verfasse,
So lächelt mir das Herz und spricht:
Ich schenke Ihnen dies Gedicht.
     
    »Oh, sehr nett.« Lili dankte, leicht errötet, womit sie noch mehr an eine Teerose erinnerte. »Na, Schluss mit der Wahrsagerei. Die Sonne ist schon am Untergehen, und ich habe Ihnen noch nicht Ihre Kajüte gezeigt.«
    Sie traten hinaus aufs Deck, die Sonne sank schon hinter die Düne.
    »Und ich habe Ihr Meer noch gar nicht recht gesehen«, sagte Urbino.
    »Dann beeilen wir uns, solange die Sonne nicht ganz weg ist!«
    Sie gingen von Bord, und sogleich hatte sich die Sonne hinter der Düne verborgen.
    Lili schlenkerte die Sandalen in den Sand und kletterte die Düne hoch. Urbino folgte ihr.
    Der Sand unter ihren wohlgeformten Füßen rieselte ihm auf den Kopf, und nicht, dass ihm das nicht gefallen hätte. Die Landschaft, die sich ihm von unten auftat, hielt jedem Sonnenuntergang stand – unglaublich schlanke Beine und sonst nichts (unterm Rock).
    Lili war in ihrem Element, leichter und rascher sprang sie zum Gipfel. Der schwerere Urbino fiel zurück, blieb im herabrieselnden Sand stecken und ging in den Vierfüßergang (vielleicht nicht des mühsamen Aufstiegs wegen, eher um die »Landschaft« von unten besser zu betrachten). Schnaufend und schwitzend schaffte er es kaum bis oben, überzeugte sich aber, dass es die Mühe wert gewesen war.
    Die Sonne neigte sich gerade dem Horizont zu, wurde übermäßig groß und tiefrot, je mehr sie sich der Berührung näherte. Und als es geschah, plattete sie auf einmal ab und versank blitzschnell.
    »Seltsam, dass das Meer nicht zischt«, sprach Urbino – ein Sätzchen, das er vor langer Zeit entdeckt hatte.
    »Mich wundert das auch jedesmal«, pflichtete Lili sofort bei.
    Die Sonne war völlig eingetaucht, ihr oberstes Segment reckte sich in die Länge und erinnerte mehr und mehr an ein Schiff, das mit leuchtenden Bullaugen den Horizont entlangfuhr.
    »Ein Schiff, das ebenfalls auf den Grund sinkt.« Innerlich spöttelte er: ›Urbino, red nicht so geschwollen.‹
    »Morgen kehrt sie auf der Seite des Sunds zurück.«
    »Sind Sie sich dessen sicher?«
    »Ich begrüße sie jeden Morgen!«
    »Seltsam«, sagte er, »mir ging gerade durch den Kopf, dass ich im Lauf meines Lebens viel mehr Sonnenuntergänge gesehen habe als Sonnenaufgänge. Müsste sich das nicht die Waage halten?«
    »Warum so pessimistisch. Sie sind nun mal Städter und Dichter.«
    »Soll ich nun gekränkt

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