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Der Tag, an dem du stirbst

Der Tag, an dem du stirbst

Titel: Der Tag, an dem du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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ausfindig gemacht», sagte Tante Nancy. Es schien, dass sie sich im Raum bewegte und Deckung suchte. «Ich hatte einen Privatdetektiv engagiert, der ihr schließlich auf die Spur kam. Daraufhin machte ich mich auf die Reise. Ich wollte sie sehen. Du warst damals zehn, Charlie.»
    «Warum?» Ich war so perplex, dass ich nicht länger auf Abigail achtete und mich der Stimme meiner Tante zuwandte. Anscheinend hatte ich mich hinter dem Ohrensessel ein bisschen zu weit vorgewagt, denn Abigail drückte wieder ab. Die Armlehne des Sessels explodierte. Ich ließ mich auf den Boden fallen, immer noch schwindelig und schwach. Noch ein Stoß Zuckerguss …
    «Ich wollte mit ihr reden, von Schwester zu Schwester», fuhr meine Tante fort. «Sie hatte euch weh getan, ganz zu schweigen von den Babys, die sterben mussten. Aber … mir war wohl selbst nicht klar, was ein solches Gespräch bringen sollte. Ich war wütend. Ich wollte mit ihr reden, ihr meine Meinung sagen und sie dann der Polizei ausliefern.»
    Abigail bewegte sich. Nicht in meine Richtung, sondern auf Tante Nancys Stimme zu. Ich ließ mir wieder meine Optionen durch den Kopf gehen. Anrufen? Das Telefon war unerreichbar. Waffen? Die mit Batterien ausgestopfte Socke war mir von Abby abgenommen worden. Ich hatte nur noch das Messer am Fußgelenk und den Kuli im Haarknoten. Ob ich es tatsächlich über mich bringen würde, meine Schwester mit dem Messer anzufallen, war mehr als fraglich. Ich würde mit dem Kuli vorliebnehmen müssen.
    «Du bist zu uns in die Wohnung gekommen», meldete sich nun Abigail zu Wort. Ihre Stimme klang fast wie die eines kleines Mädchens, als sie im Dunkeln auf unsere Tante zusteuerte.
    «Ich wusste nicht, dass du mit deiner Mutter zusammenlebtest. Ich wusste nicht einmal von deiner Existenz», entgegnete Tante Nancy ruhig. «Im Polizeibericht … da war von einem zweiten Kind keine Rede.»
    «Alles, was ich besaß, habe ich in einem Rucksack aufbewahrt …» Abigail sprach aus, was auch mir in diesem Moment durch den Kopf ging. Mit den Lippen formte ich den Rest, sodass wir beide in stummem Gleichklang den Satz zu Ende brachten. «Wie ein guter Soldat.»
    «Als ich dich sah», fuhr unsere Tante fort, «wusste ich nicht weiter. Ich hatte meine Schwester anherrschen, sie beschimpfen und die Polizei rufen wollen, die sie dann für den Rest ihres Lebens eingebuchtet hätte. Nichts anderes hätte sie verdient gehabt. Aber Chrissy wusste längst, was ich vorhatte, und war mir schon einen Schritt voraus.»
    Hinter mir war wieder Frances zu hören, die nach Luft schnappte und vor Schmerzen stöhnte Ich musste etwas unternehmen.
    «Aber dann sah ich dich, Abby», erklärte Tante Nancy mit fester Stimme. «Und ich wusste nicht, was ich machen sollte. Ich sagte Chrissy, sie sei krank, und forderte sie auf, sich freiwillig zu stellen. Ich machte den Vorschlag, dich zu mir zu nehmen und großzuziehen wie Charlene. Aber Chrissy wollte nichts davon wissen. Ich läge völlig daneben, meinte sie. Es gebe da einen Freund in New York. Der habe Charlie niedergestochen und die beiden Babys umgebracht. Seit jener Nacht sei sie mit dir, Abby, auf der Flucht. Damit dieser ‹Freund› euch nicht findet.»
    Ich bemerkte, dass Abigail auf der anderen Seite des Zimmers innehielt. Sie hatte sich der Tante bis auf wenige Schritte genähert. Doch jetzt schien sie zu zögern. Ich nutzte die Gelegenheit, um mir einen der schweren Winterstiefel vom Fuß zu streifen.
    «Fast hätte ich ihr geglaubt», flüsterte unsere Tante. «Aber dann fing Chrissy lauthals zu lachen an. Sie schaute mir in die Augen und sagte, dass sie genau das der Polizei erzählt habe. Die habe daraufhin nach diesem Freund gefahndet. Im Gegenzug sei ihr versprochen worden, dass sie das Sorgerecht für Charlie zurückbekomme. Sie wäre mit euch beiden wieder abgetaucht. Ich konnte es kaum glauben, aber sie war offenbar fest entschlossen. Drama und Intrige. Darauf verstand sie sich am besten. Wen kümmerte es schon, dass andere – du, Abigail, Charlie oder auch ich – darunter leiden mussten? Die Hauptsache war, dass sie, Christine, ihren Willen durchsetzte.
    Ich habe sie gefragt, was sie wolle, worauf sie mir einen Deal vorschlug. Wenn ich der Polizei gegenüber den Mund hielte, könne ich Charlie bei mir behalten. Wir würden voneinander nichts mehr hören und getrennte Wege gehen, jeder von uns mit einem Kind. Sie kam sich großzügig vor und tat so, als würde sie mir einen Gefallen tun. Und

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