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Der Tag, an dem du stirbst

Der Tag, an dem du stirbst

Titel: Der Tag, an dem du stirbst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Gardner
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und mit einer geladenen Pistole auf seine Frau wartete. Wäre ein Streifenwagen mit eingeschalteter Sirene gekommen und hätte ein uniformierter Beamter an der Tür geklingelt …
    Genau darauf hatte es der gute alte Vincent abgesehen. Er hatte auf eine letzte Provokation spekuliert, um sich einreden zu können, dass es gerechtfertigt sei, die Waffe auf seine Frau abzudrücken.
    «Neun-sechsundzwanzig an Vier-einundsechzig. Kann ich riskieren, das Haus zu betreten?», fragte Officer Mackereth wieder ganz nach Vorschrift.
    Ich nahm mir ein Beispiel daran und setzte die Kopfhörer wieder auf. «Dawn, ich bin’s, Charlie. Vor Ihrer Haustür steht ein uniformierter Polizeibeamter. Er hat Ihren Mann überwältigt und entwaffnet. Sie können jetzt aus dem Schrank kommen, Dawn.»
    Und nun hörte ich zum ersten Mal den vollen Klang ihrer Stimme. «Ist er … ist mit ihm alles in Ordnung?»
    «Meinen Sie den Officer oder Ihren Mann?», fragte ich, obwohl ich die Antwort schon ahnte.
    «Meinen Mann», sagte sie zittrig.
    «Gehen Sie doch einfach nach unten und überzeugen Sie sich selbst.»
    «Okay, okay. Ich glaube, das mach ich. Charlie …»
    Ich wartete, doch sie bedankte sich nicht. Das tun die wenigsten.
    Dawn beendete die Verbindung. Sie ging nach unten, um sich um ihren betrunkenen Mann zu kümmern, der noch vor fünf Minuten entschlossen gewesen war, sie zu töten.
    Ich setzte mich wieder und streichelte Tulips seidene Ohren.
    «Schön, dass du hier bist, mein Mädchen», flüsterte ich. «Schön, dich bei mir zu haben.»
    Sie legte mir ihre ergraute Schnauze auf den Schoß. Ich streichelte ihr weiter den Kopf, bis meine Hände zu zittern aufhörten und wir beide nur noch schweigend im dunklen Raum saßen.

    Man sollte meinen, der Vorfall hätte für eine Nacht gereicht. Aber dem war nicht so. Um 2:33 Uhr kam der zweite dringende Notruf. Als ich die Info auf dem ANI/ALI-Schirm sah, war ich sofort wieder hellwach. Ich straffte meine Schultern, holte tief Luft und antwortete.
    «Hey», sagte ich, ein wenig überrascht darüber, dass sich der Anrufer in der Zentrale meldete und nicht auf meinem Prepaid-Handy.
    Es blieb so lange still in der Leitung, dass ich glaubte, der Anrufer könne nicht antworten. Dann aber hörte ich schließlich eine kleine, zitternde, ängstliche Stimme. Das Mädchen also, nicht der Junge. Es war zu jung, um sich an meine Handynummer zu erinnern, und rief darum wieder über die 911 an, über die sie den ersten Kontakt mit mir aufgenommen hatte.
    Sie weinte und brauchte mir nicht zu erklären, warum. Wir von der Notrufzentrale sind mehr als nur die Verteiler schlimmer Nachrichten an unsere Kollegen in Uniform. Wir sind ein telefonischer Sozialdienst, der erste Ansprechpartner für misshandelte Ehefrauen, betrunkene Teenager und verängstigte Kinder. Wir bekommen einiges zu hören.
    Aber für gewöhnlich leiten wir den Anruf einfach nur weiter und gut. Nicht unser Problem. Als Botschafter überbringen wir die Nachricht, dass die Welt da draußen, tja, ziemlich beschissen ist.
    Frage: Was würden Sie tun, wenn Sie nur noch vier Tage zu leben hätten?
    An der Seitenlinie bleiben? Oder ins Spiel eingreifen?
    Oder würden Sie eine andere Entscheidung treffen, wenn Sie, sagen wir, ein Jahr lang hart trainiert hätten – Ausdauer, Kampfkraft, Zielsicherheit – und, statt einfach nur rumzusitzen, in die Gänge gekommen wären? Oder wenn Sie, sagen wir, Insiderinformationen über die Art von Verbrechen hätten, gegen die unsere Strafverfolgung nichts ausrichten kann, Verbrechen, in denen der Täter immer gewinnt und das Opfer immer verliert?
    Ich habe mich monatelang mit diesen Fragen beschäftigt. Und schließlich einen Entschluss gefasst.
    Der half mir, als ich nun die Hände auf die Tastatur legte und tippte. Bewusst und vorsätzlich setzte ich mich über alle Regeln hinweg, schaltete das Gerät aus, das alle Notrufe aufzeichnete, und setzte das Gespräch auf meinem bei Wal-Mart gekauften Prepaid-Handy fort.
    «Hey», sagte ich wieder. «Alles in Ordnung. Ich bin’s, Charlie. Ich helfe dir. Ein Tag noch, Sweetheart, danach wird dir niemand mehr weh tun.»

[zur Inhaltsübersicht]
    6. Kapitel
    «Schlechte Nachrichten», informierte D.D. Alex beim Essen. «Im Kampf um eine zivile Stadt gewinnen die Verrückten die Oberhand.»
    Sie hatte Jack um Viertel vor sechs von der Tagesmutter abgeholt. Gegen sechs war Alex nach Hause gekommen, der schon am Morgen sein Pollo Cacciatore im Crock-Pot

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