Der Tag, an dem du stirbst
lauschte auf Geräusche im Hintergrund. Rief da ein Mann seine Frau beim Namen? Splitterte Glas, zerschlagen in blinder Wut? Oder klopfte vielleicht schon Officer Mackereth an die Tür? Ich hörte nichts.
«Dawn, ist Ihr Mann immer noch im Schlafzimmer?», fragte ich jetzt.
Piep.
«Gleich kommt ein Officer, Dawn. Er ist schon fast bei Ihnen und wird helfen.» Ich zögerte. Es war höchste Zeit, der Frau eine Beschreibung ihres Mannes zu entlocken, damit Officer Mackereth die Verfolgung aufnehmen konnte, wenn er türmte. Aber wie sollte ich in einem Piepton-Dialog nützliche Hinweise erfragen?
«Dawn, ist Ihr Mann immer noch wütend?»
Piep.
Was tut er denn? , wollte ich ausrufen. Wie war es möglich, dass ein vor Wut tobender Mann keinen Laut von sich gab?
Und plötzlich sprang mich die Antwort an. Ich hatte genau die Art von Mann vor Augen, die so still und ruhig vor der Tür des Wandschranks stehen konnte.
Ich schnappte mir das Funkmikro. «Vier-einundsechzig an Neun-sechsundzwanzig», brüllte ich fast. «Nicht an der Tür klingeln! Bleiben Sie auf Abstand!»
Dawn war nicht mehr zu hören, nur mein eigener stockender Atem.
«Neun-sechsundzwanzig an Vier-einundsechzig», meldete sich Officer Mackereth über Funk. Seine Stimme klang so trocken wie meine aufgeregt. «Neun-sieben-drei-sieben?»
Neun-sieben-drei-sieben war ein Ausdruck aus unserem Privatcode. Die Zahlen entsprachen den Buchstaben auf einer Telefontastatur in der Reihung WSDS. Kurz für: Was soll der Scheiß? Nun ja, unser Job verlangte einen gewissen Sinn für Humor.
Ich holte tief Luft.
«Vier-einundsechzig an Neun-sechsundzwanzig», sagte ich. «Halten Sie sich bitte zurück.»
«Dawn», flüsterte ich in mein Headset, «isst Ihr Mann gern Pizza?»
Stille. Dann ein Piepton und das erste Geräusch seit langem: Dawn schluchzte. «Sie haben gleich das Schlimmste hinter sich», versprach ich. «Bleiben Sie in der Leitung. Eine Minute noch.»
Ich schickte Heinens Namen durchs System, das mir eine zweite Telefonnummer ausspuckte, eine auf seinen Namen registrierte Handynummer. Mit einem stummen Stoßgebet griff ich nach meinem eigenen Handy und wählte. Was ich vorhatte, stand nicht im Regelwerk meiner Dienstanordnung. Aber es gehörte zu den Dingen in meinem Job, von denen man einfach wusste, dass sie getan werden mussten.
Für einen kurzen, irrwitzigen Moment hörte ich mein Anläuten in Stereo, im Handy an meinem Ohr und gleichzeitig vor der Schranktür im Schlafzimmer der Heinens. Einmal, zweimal, dreimal.
Ich hielt mein Handy fest umklammert.
Der Funklautsprecher knisterte. «Neun-sechsundzwanzig an Vier-einundsechzig –»
«Schnauze!», zischte ich. Im selben Moment nahm Dawns Mann meinen Anruf entgegen.
«Was ist?», fragte er mit einer Stimme voller Drohung und jener eiskalten Wut, die seine Frau im Wandschrank stumm schluchzen ließ.
«Eh, Mann», pflaumte ich ihn an. «Was ist jetzt mit deiner Pizza? Ich warte nicht mehr länger. Klingel seit fünf Minuten Sturm, und keiner macht mir auf. Wir belasten deine Kreditkarte, ob du deine verdammte Pizza nimmst oder nicht. Wenn nicht, stopfe ich sie mir selbst rein!»
Ich schaltete mein Handy aus und das Headset wieder ein.
«Arschloch», hörte ich Dawns Mann vor der Schranktür fluchen. Er schien sich in Bewegung zu setzen. Schritte wurden laut. Eine Tür flog auf.
Verspätet griff ich zum Funkgerät.
«Vier-einundsechzig an Neun-sechsundzwanzig. Sie liefern eine Pizza. Ich wiederhole. Sie liefern eine Pizza. Unsere Zielperson ist wahrscheinlich bewaffnet und kommt an die Tür. In fünf, vier, drei, zwei …»
«Verdammt!», explodierte eine Männerstimme im Funklautsprecher.
«Polizei!», rief Officer Mackereth. «Hände bleiben da, wo ich sie sehen kann. Haben Sie mich verstanden?»
Was folgte, klang nach einem Handgemenge, nach Schlägen. Wieder wurden Rufe laut.
Ich sprang auf, riss mir das Headset vom Kopf und kniff die Augen zu, als würde das meinem Kollegen irgendwie helfen oder einen Vorteil verschaffen. Tulip fing an zu winseln. Ich biss mir auf die Unterlippe.
Dann: «Neun-sechsundzwanzig an Vier-einundsechzig.» Officer Mackereth war außer Atem. «Zielperson überwältigt und entwaffnet.» Und abweichend von der Etikette: «Er trug eine Glock neun. Woher wussten Sie eigentlich, dass er bewaffnet ist? Das war knapp, Charlie, verdammt knapp.»
Ich hatte es gewusst, mir genau so vorgestellt. Dass Dawns Mann auf der anderen Seite der Schrankwandtür stand
Weitere Kostenlose Bücher