Der Tag an dem ich erwachte
Krankenhaus!“, murmelte ich gehässig. Ihr Bett war unerwartet hart und unbequem, aber vielleicht lag es daran, dass ich mittlerweile Ryans kuscheliges Wasserbett gewohnt war. Und überall hingen diese hässlichen Gemälde! „Ich glaube, ich kriege Augenkrebs“, sagte ich, bevor ich die Schubladen von Alice’ s Schlafzimmerkommode nach und nach öffnete. Reizwäsche, halterlose Strümpfe, Kondome in allen Farben und Geschmacksrichtungen. „Was für ein schöner Regenbogen!“, witzelte ich. Ah, sieh einer an: Eine Gleitcreme! Anscheinend war ich nicht die Einzige, die so etwas benötigte. Noch mehr Reizwäsche. Lauter String-Tangas, Strapsen, mit Spitze besetzten Korsagen. „Schlampe!“, schimpfte ich laut. Ich öffnete ihren Kleiderschrank. Auch hier machte sich ihre Vorliebe für die Farbe Weiß bemerkbar. Weiße Abendkleider, weiße Businessanzüge, weiße Hosen, weiße Miniröcke… Und etwas schwarz dazwischen: Das obligatorische kleine Schwarze in jeglichen Variationen. „Die Frau hat keine Persönlichkeit!“, schnaubte ich verächtlich. Ich konnte es einfach nicht lassen und probierte eines ihrer Kleider an. Es passte wie angegossen. Auf meine Jessica Rabbit Figur! Verdammt! Meine Laune war endgültig verdorben. Ich brauche dringend ein schönes heißes Bad, um mich wieder zu beruhigen. Das Badezimmer von Alice stellte einen starken Kontrast zu dem Rest ihrer Einrichtung da. Die Badewanne erinnerte mich an die Bilder aus den Zwanzigern, freistehend, mit vergoldeten Füßen und einer hohen Rückenlehne. An der Decke hing ein prunkvoller Kronleuchter. Das Fenster war hinter den schweren, weinroten Samtvorhängen versteckt, der körpergroße Spiegel in Gold eingerahmt. Alles Gold, alles barock. Ich öffnete ihren Spiegelschrank. Mal sehen, was für Pflegeprodukte die Schlampe benutzt. Natürlich nur die teuersten, was sonst? Ich drehte den Deckel ihrer Gesichtscreme auf und schnupperte daran, sie roch angenehm nach Citrus. „Antifaltencreme“, las ich und kicherte gehässig. Als ich auch noch eine Anti-Cellulite Creme entdeckte, entfuhr mir ein triumphierter Schrei. Ich kramte weiter in den Tiefen des Spiegelschranks und war schließlich mit meiner Beute so zufrieden, dass meine Laune sich schlagartig verbesserte. Ich fand nämlich eine Salbe gegen Hämorrhoiden und eine gegen Fußpilz. Ich ließ sie gleich vorne, um sie schnellstmöglich Ryan zu präsentieren. Von wegen, eine Traumfrau! Zum Glück stand am Rand der Badewanne ein Desinfektionsspray, mit dem ich sie ausgiebig einsprühte, bevor ich sie mit warmem Wasser füllte. Alice stand ausschließlich auf Chanel Düfte. Ich gab ein paar Tropfen von dem Chanel Badeschaum ins Wasser hinein und runzelte die Nase. Ich konnte noch nie viel mit Chanel Düften anfangen, ich fand sie viel zu herb, viel zu altbacken. Alice wurde mir zunehmend unsympathischer, obwohl ich ihr eigentlich dankbar sein sollte. Plötzlich fiel mir ihr Ganzkörperbild auf, das an der Wand gegenüber von der Badewanne hing. Riesengroß und in Gold gerahmt. Nackt. Wunderschön, musste ich widerwillig zugeben. Lange blonde Haare, große blaue Augen, lange schwarze Wimpern. Fett getuscht! Haut wie ein frischer Pfirsich. Geschminkt! Wespentaille, Riesentitten. Definitiv gemacht, keine einzige Frau hat von Natur aus eine solche Oberweite! Abgesehen davon hatte diese fleischgewordene Göttin Fußpilz und Hämorrhoiden. Und Cellulite. Plötzlich schämte ich mich für meine gehässigen Gedanken. Was war nur mit mir los? Wieso war ich immer noch dermaßen auf Alice eifersüchtig? Nach allem, was sie für Ryan und mich getan hatte… Ich bat sie gedanklich um Entschuldigung, bevor ich aus der Badewanne stieg und ihre kleinen Geheimnisse wieder in ihrem Badezimmerschrank sicher verstaute. Ich wickelte mich in eines ihrer flauschigen Handtücher ein und sah nach Ryan. Er schlief immer noch. Der arme Ryan! Er musste vollkommen erschöpft sein. Er machte eine ganze Menge mit mir mit. Für mich. Für unsere gemeinsame Zukunft. Und was tat ich als Dank dafür? Ich suhlte mich in meiner Eifersucht und hegte feindliche Gedanken gegen die Frau, die mir völlig uneigennützig half und gegen den Mann, der mich liebte.
„Gail, wo bist du?“, hörte ich Ryans verschlafene Stimme, während ich mich von meinem schlechten Gewissen plagen ließ. Ich ging ins Wohnzimmer, warf das nasse Handtuch auf den Boden, legte mich neben Ryan und umarmte ihn fest.
„Bist du endlich aufgewacht, Schlafmütze?“,
Weitere Kostenlose Bücher