Der Tag an dem ich erwachte
schließlich vor meinem inneren Auge wieder lebendig wurden. Die Reise, der Flughafen, Greg… Unsere Wiedersehensfreude. Unser gemeinsames Dinner, der Wein… Greg. Der letzte Drink, den er mir anschließend gebracht hatte… Greg, was hast du mit mir gemacht? Plötzlich ging ein grelles Licht auf, das mich beinahe blendete, ich schloss die Augen und zitterte am ganzen Körper, was meine Schmerzen augenblicklich verstärkte.
„Öffne die Augen, David!“, hörte ich Gregs samtige Stimme. Sie klang freundlich, beinahe zärtlich. „Öffne sie!“, wiederholte er und fügte hinzu: „Ich habe das Licht gedämmt.“ Das hatte er tatsächlich, denn, als ich ihm gehorchte, sah ich sein vertrautes Gesicht, das im schwachen Licht viel jünger wirkte, als ich es in Erinnerung hatte. Wunderschön. Gottesgleich. „Hast du Schmerzen?“, erkundigte er sich besorgt. „Du brauchst nicht zu antworten, die Bewegung tut dir momentan nicht gut“, warnte er mich vor. „Es reicht, wenn du kurz deine Augen schließt. Wenn du sie offen lässt, werde ich es als ein „nein“ interpretieren. Verstehen wir uns?“ Ich schloss kurz die Augenlider und spürte, wie heiße Tranen über mein Gesicht rannen. Greg wischte sie sorgfältig ab. „Ich werde dir jetzt eine Spritze verabreichen, die deine Schmerzen lindern wird“, sagte er und erfüllte sein Versprechen. Schon nach wenigen Sekunden verschwanden die Schmerzen tatsächlich.
„Wasser!“, keuchte ich mit meiner letzten Kraft.
„Du darfst noch nicht trinken“, sagte er bedauernd, „nicht nach dieser schweren Operation. „Nur ein paar Tropfen.“ Die ließ er durch eine Spritze langsam in meinen Mund tröpfeln, doch es machte meinen Durst nur noch stärker. „Mehr gibt es heute nicht. Wenn alles gut geht, bekommst du morgen einen vollen Becher gesüßten Tee. Das Morphium lässt dich gleich wieder einschlafen. So ist es am besten für dich, David. Die nächsten Monate wirst du überwiegend im Schlaf verbringen.“
„Was tust du mir an?“, flüsterte ich angestrengt, während ich spürte, dass meine Augenlider immer schwerer wurden.
„Ich tue dir gar nichts an“, lächelte Greg liebevoll, „ich helfe dir nur! Du bist eine erbärmliche Kreatur, David, traurig, depressiv, schwach und ermattet, deiner eigenen Existenz überdrüssig. Von deinen unnatürlichen Neigungen selbst angeekelt. Zum Glück bist du mir begegnet! Ich werde dich von diesem Elend befreien. Ich werde dich zu einem völlig neuen Menschen machen, zu einem Menschen, auf den du endlich stolz sein kannst! Ich bin dein Freund, David. Und, wenn mein Vorhaben mir so gelingt, wie ich es mir vorstelle, dann werde ich eines Tages viel mehr als nur dein Freund sein. Ist es nicht das, was du dir schon lange erträumt hast? Den ersten Schritt haben wir bereits hinter uns, und ich kann dich beruhigen: Bis jetzt verläuft alles zu meiner Zufriedenheit!“ Bevor ich weitere Fragen stellen konnte, schlief ich ein.
Die nächsten Monate verbrachte ich, genau wie Greg es vorausgesagt hatte, meistens schlafend. Immer, wenn ich aus meinem Morphiumschlaf erwachte, stellte ich fest, dass der Schmerz sich auf eine neue Stelle verlagerte. Am Schlimmsten war es, als mein Gesicht dran war. Zu dem Zeitpunkt hatte Greg mir bereits so sehr vertraut, dass er meine Hände aus ihren Fesseln befreit hatte. Sodass ich mein schmerzendes Gesicht ertasten konnte. Es war vollkommen bandagiert, lediglich meine Augen und meine Lippen lagen frei. „Um deine Lippen werden wir uns als Letztes kümmern“, sagte Greg, als er meine Bandagen entfernte. „Traumhaft!“, entfuhr ihm ein Jubelschrei, „einfach nur traumhaft!“ Doch, bevor ich fragen konnte, über was er sich so sehr freute, spritzte er mir schon wieder Morphium, und ich glitt in einen dunkel Tunnel meiner Träume und Alpträume, wobei die letzteren über die ersteren siegten. Genauso wie Greg über mich siegte. „An deinem Gesicht war nicht wirklich viel auszusetzen“, hörte ich seine Stimme, als ich einmal ausnahmsweise wach war. „Es trug schon immer weibliche Züge“, sprach er weiter. Seine Stimme war klar und deutlich und warm. Laut, dennoch nicht zu laut. Es war Gottes Stimme, dachte ich schläfrig, während ich ihrem beruhigenden Klang lauschte. „Aber was ich anstrebe, ist eine Perfektion!“ Dieses Wort hallte immer und immer wieder in meinem Kopf. Sogar im Schlaf. Perfektion . Perfekt sollte ich werden, um Gregs Liebe zu verdienen. Dabei musste ich nichts dafür
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