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Der Tag an dem ich erwachte

Der Tag an dem ich erwachte

Titel: Der Tag an dem ich erwachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emilia Miller
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forderte sie mich auf, „lass deinen Schmerz raus!“ Ich wusste nicht, wie ich ihr erklären sollte, dass ich keinen Schmerz empfand, also sah ich davon ab und erkundigte mich erneut nach der Todesursache.
    „Es war ein Herzstillstand“, schniefte sie leise. „Sie ist im Schlaf gestorben, David. Sie hat nicht gelitten.“
    Welch eine Ungerechtigkeit, dachte ich, wo ich doch mein ganzes Leben lang leide, während die alte Hexe sich einfach so aus der Affäre stiehlt. Hätte sie mir wenigstens etwas Geld hinterlassen! Doch es war nicht nötig, mich nach ihrem Testament zu erkundigen, ich wusste ganz genau, dass sie ihr Vermögen restlos versoffen hatte. Das Einzige, was mir geblieben war, war das Haus. Ich verkaufte es und bezahlte von dem Erlös die Hypothek für Tante Abigail‘ s Haus ab. Es erschien mir nur gerecht, da sie schon immer viel mehr eine Mutter für mich war als meine eigene. Mit dem Rest bezahlte ich die Beerdigung, die recht schlicht ausfiel. Ich legte keinen großen Wert auf einen teuren Sarg und ein aufwändiges Blumenarrangement. Ein kleiner Lilienstrauß war mehr als genug, entschied ich. Doch ich ließ es mir nicht nehmen, die erste Erde auf ihr Grab zu werfen. Lediglich Tante Abigail, ich und der Priester waren bei der Beerdigung anwesend. Als der Priester das Gebet las, sagte ich zu meiner Mutter im Stillen: „Ich hoffe, du ruhst nicht im Frieden, alte Hexe! Schmor in der Hölle!“
    Danach saß ich in meinem Zimmer auf meinem Bet t und starrte die Packung Schlaftabletten an, die ich mir bereits vor mehreren Wochen besorgt hatte. Die Tabletten waren extrem stark, und die Packung extrem groß. Ich wollte auf Nummer sicher gehen, deswegen suchte ich keine Apotheke auf, sondern jammerte einem Arzt vor, dass ich nicht schlafen konnte und unbedingt etwas gegen meine quälende Schlaflosigkeit brauchte. Nachdem ich ihn oral befriedigt hatte, zeigte er sich äußerst mitfühlend und großzügig.
    „Damit schläfst du wie ein Engel!“, versicherte er mir, während er den Reißverschluss seiner Hose zumachte und nervös auf die Uhr blickte: Seine Frau und seine Kinder warteten auf ihn mit dem Abendessen, das mit Sicherheit bereits kalt geworden war. Es würde Ärger zu Hause geben, doch er nahm es gern in Kauf. „Aber sei bitte vorsichtig mit dem Zeug!“, warnte er mich vor, „nimm nicht mehr als eine halbe Tablette pro Nacht, mein Süßer. Ich möchte nämlich nicht so schnell auf dich verzichten müssen“, fügte er lüstern hinzu und küsste mich auf den Mund, bevor er sich auf den Weg zu seiner Familie machte.
    Nun hielt ich diese Tablettenpackung in der Hand. Auf meinem Nachttisch stand eine Flasche Whiskey. Zum Runterspülen. In der anderen Hand hielt ich die Visitenkarte von Greg Grantham. Mein Blick huschte zwischen den beiden Gegenständen hin und her. Mein Puls raste. Meine Gedanken überschlugen sich, bis sich ein einziger Gedanke herauskristallisierte und sich durch diesen wirren Tunnel hindurchkämpfte: Was hatte ich schon zu verlieren? Ehe ich wusste wie mir geschah, griff ich nach meinem Handy und tippte die Nummer ein, die ich mittlerweile auswendig kannte.
    „David, wie schön, dich zu hören!“, sagte er mit seiner unvergleichlichen, samtigen, tiefen Stimme, die mich sofort dahinschmelzen und meinen Unterleib wild pulsieren ließ. Er hatte mich tatsächlich nicht vergessen! „Ich habe schon befürchtet, dass du dich nie bei mir melden würdest“, fuhr er fort. „Umso größer ist die Freude! David, bist du noch dran?“
    „Ja“, hauchte ich leise. „Meine Mutter ist gestorben“, vertraute ich ihm an, aus welchem Grund auch immer. Vielleicht sehnte ich mich nach etwas Mitgefühl und Zuwendung von jemandem, vor dem ich wirklich Achtung hatte. Vielleicht wollte ich lediglich mein schlechtes Gewissen erleichtern, indem ich jemandem die Trauer um den Verlust meiner Mutter vorspielte.
    „Mein aufrichtiges Beileid!“, sagte Greg Grantham. Seine Stimme drückte tatsächlich ein aufrichtiges Bedauern aus, so ehrlich und einfühlsam, dass es mir gleich warm ums Herz wurde. Und um gewisse andere Körperteile. Eines davon hielt ich bereits in der Hand und fuhr sie langsam hoch und runter. „David“, hörte ich seine umschmeichelnde Stimme, kurz bevor ich zum Höhepunkt kam.
    „Ja?“, keuchte ich angestrengt.
    „Wir müssen es nicht am Telefon tun“, stellte er mit einem intimen Unterton klar, der sofort eine Gänsehaut bei mir verursachte. „Ich will dich auch. Wieso

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