Der Tag an dem ich erwachte
Hochzeiten, die hier stattgefunden hatten, dokumentiert. Vielleicht fällt Ihnen ja eine Gemeinsamkeit auf, irgendein Hinweis… Wann fand die Hochzeit denn statt?“
„Glauben, vor fünf Jahren“, sagte Ryan, während wir dem Priester in sein Büro folgten.
„Möchten Sie ein Glas Wasser, meine Tochter?“ Ich nickte mehrmals mit dem Kopf. Seit meinem jüngsten Alptraum hatte ich noch mehr Durst als sonst, ich hätte beinahe ununterbrochen trinken können.
„Sie entschuldigen, Vater, meine Frau nicht gut sprechen die Sprache. Zu Hause immer Spanisch, auch in Fabrik. Ich auch schlecht, aber besser als Maria. Deswegen Antonio schämen für seine Eltern, immer sagen: „Padre, Madre, ganze Leben hier, und nicht gut sprechen, müssen lernen!“ Aber wir immer arbeiten, immer nur arbeiten, damit der Junge haben gut.“
„Sie sprechen unsere Sprache doch ausgezeichnet, mein Sohn!“, beteuerte der Priester mit einem sanften Lächeln. „Ich kann sie wunderbar verstehen. Ihr Sohn sollte stolz auf Sie sein“, schüttelte er traurig seinen alten Kopf, und „Pedro“ schniefte dankbar. Derweil blätterte der Priester in seinen Unterlagen. „Wie hieß das Mädchen, sagten sie? Gail Schneider?“
„Gail Schneider“, bestätigte Ryan und starrte dem alten Mann auf die Finger, während er angestrengt nach einem ähnlichen Namen suchte.
Nach einer guten Stunde verließen wir mit pessimistisch gesenkten Köpfen die Kirche, nachdem der Priester uns gesegnet hatte. Die nächste Station, die wir aufsuchten, war der Friedhof von Bedford. Wie zwei übergewichtige Zombies schlenderten wir zwischen den Grabsteinen, doch der Name Schneider war nirgends zu sehen. Anschließend saßen wir schweigend im Auto, müde und hungrig. Und durstig, vor allem ich. Völlig entmutigt. Mister Pedro Gonzales mietete für sich und seine todkranke Frau ein Zimmer in Bedfords bestem Hotel, er scheute keine Kosten und bestand auf dem schönsten Zimmer, das er auch bekam, nachdem er sofort in bar im Voraus zahlte. Als wir uns gesättigt hatten und uns unserer Maskierung entledigten, lagen wir nebeneinander im Bett. Ich nahm immer wieder einen Schluck aus meiner obligatorischen Wasserflasche, und Ryan sah zum Fenster, hinter dem sich ein heftiges Gewitter laut ankündigte. Der sanfte, liebliche, goldene Herbst verlor nun zusehends den Kampf und machte dem kalten, grauen, ungemütlichen Spätherbst Platz, der uns mit seinen Erscheinungen genauso unerbittlich und brutal konfrontierte wie mit unserer Enttäuschung.
„Ich mag dieses Wetter nicht“, sagte Ryan mürrisch und starrte mich auf einmal vorwurfsvoll an, als wäre ich dafür verantwortlich.
„Es ist nicht wirklich schön“, pflichtete ich ihm bei, auf eine unerklärliche Weise fühlte ich mich tatsächlich schuldig.
„Es weckt schlechte Erinnerungen“, erklärte er mir beiläufig, als er aufstand und das Fenster aufmachte. Sofort peitschte uns der eisige Wind entgegen und wehte kalte Regentropfen in die behagliche Wärme unseres Zimmers hinein.
„Ryan, mach das Fenster zu!“, kreischte ich aufgebracht, doch er reagierte nicht. „Ryan, mach es zu, es ist kalt!“, schrie ich ihn an, bevor er endlich meiner Aufforderung nachging.
„Was ist nur mit dir los?“, fragte ich und starrte ihn an, als wäre er ein Fremder. Er schien wie hypnotisiert von einer unsichtbaren Macht, der er voll und ganz ausgeliefert war. Abwesend und willenlos. So hatte ich ihn noch nie zuvor erlebt. Es machte mir Angst. „Was hast du, Ryan?“, fragte ich wieder, und er blieb mir wieder die Antwort schuldig. Ich sprang auf und eilte zur Minibar, holte eine Flasche Champagner heraus und entkorkte sie, obwohl wir wahrhaftig rein gar nichts zum Feiern hatten. Egal. Ich wusste mittlerweile, dass der Alkohol stets eine beruhigende Wirkung auf Ryan hatte. Also goss ich uns zwei Gläser randvoll ein und zwang ihn zum Trinken, indem ich ihm sein Glas vor die Lippen führte. Er gehorchte, nahm einen tiefen Schluck und ergriff schließlich das Glas. Nippte langsam an dem kalten Champagner. Ich tat es ihm nach, beobachtete ihn unauffällig und versuchte, seine Gedanken zu lesen. Doch es wollte mir nicht gelingen, sein Gesicht war wie versteinert. Emotionslos. „An was denkst du?“, traute ich mich schließlich zu fragen, wobei ich nicht wirklich mit einer Antwort rechnete. Umso mehr überraschte es mich, als er auf meine Frage einging.
„Ich denke an meine Kindheit“, sagte er leise.
„Denkst du an deine
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