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Der Tag an dem ich erwachte

Der Tag an dem ich erwachte

Titel: Der Tag an dem ich erwachte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emilia Miller
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Wasserflasche, stelle ich dankbar und erleichtert fest. Es ist wieder stockdunkel, also kann ich nur erraten, wie viel Wasser ich noch habe, indem ich die Flasche vorsichtig schüttele. Nur noch die Hälfte, ich muss sparsam sein! Denn morgen kommt Er ja nicht. Umso besser, denke ich, dadurch bleibt mir mehr Zeit zum Üben. Dieses Mal werde ich Ihn mit Sicherheit nicht enttäuschen! Plötzlich fühle ich mich müde, obwohl ich eine ganze Weile geschlafen hatte. Oder hatte ich es mir nur eingebildet? Vielleicht hat Er auch ein Schlafmittel in mein Wasser hineingetan, um mi r die Zeit, während der Er fortbleibt, etwas erträglicher zu machen. Ich kann mich wirklich glücklich schätzen, dass Er nach wie vor so gut für mich sorgt, obwohl ich Ihn immer wieder enttäusche. Meine Augenlider werden langsam schwer, ich kann gegen diese bleierne Müdigkeit nicht mehr ankämpfen. Ich lege mich auf den Boden, strecke meine schmerzenden Glieder aus und stelle mir vor, auf einem weichen, bequemen Bett zu liegen. Nachdem ich meinen letzten Test mit Bravour bestanden hatte, hatte Er mir zur Belohnung eine Decke mitgebracht. Es ist schon etwas länger her, und mittlerweile müffelt sie, aber es tut trotzdem gut, mich zuzudecken. Ich stelle mir einfach vor, sie wäre dick, warm und flauschig und frisch gewaschen. Mmhhh, ist es schön! Hoffentlich ist das Schlafmittel stark genug, damit ich durchschlafen kann, bis Er wieder da ist und mich mit neuem Wasser versorgt. Wenn ich Glück habe, dann bringt Er mir vielleicht sogar etwas zu essen mit. Und wenn ich sehr viel Glück habe, dann darf ich mich womöglich auch noch waschen. Und Er leert endlich den Eimer. Das wäre wirklich traumhaft! Bei diesen angenehmen Gedanken schlafe ich ein. Plötzlich geht das Licht an und eine ohrenbetäubend laute Musik dröhnt in meinen Ohren. Ich schrecke zusammen, springe auf und halte mir die Ohren zu. Das Licht wird immer greller, und die Musik immer lauter. Es ist eine Kakophonie aus bekannten klassischen Stücken und Trommeln, wild zusammengemixt. „Aufhören, bitte, aufhören!“, schreie ich so laut, dass ich mich dabei verschlucke und einen heftigen Hustenanfall kriege, so heftig, dass ich mich übergeben muss. Doch es hört nicht auf, sondern wird immer lauter und unerträglicher. Er will mich verrückt machen. Dabei bin ich es doch schon längst. Aber es reicht Ihm anscheinend nicht, Er will meine Verrücktheit auf die Spitze treiben. Dabei will Er doch nur mein Bestes. Es ist einzig und allein meine Schuld, dass Er sich dazu gezwungen sieht, sich neue Bestrafungsmethoden für mich einfallen zu lassen. „Bitte, Gebieter, hab Erbarmen!“, versuche ich, den Lärm zu übertönen, dabei weiß ich ganz genau, dass Er mich nicht erhören wird. Dieses Mal nicht, ich muss Ihn wirklich verärgert haben. Werden mich dieses grelle Licht und dieser bestialische Lärm tatsächlich begleiten, bis Er wieder kommt? Ja, das werden sie, wird mir schmerzlich klar. Dabei bin ich doch so entsetzlich müde! Wie soll ich es nur überleben? Will ich es überhaupt überleben? „Ich mute dir nur so viel zu, wie viel du ertragen kannst“, rufe ich mir Seine Stimme in Erinnerung, und Er weiß es wahrhaftig besser. Er ist Gott. Ich hatte schon oft mit dem Gedanken gespielt, mir das Leben zu nehmen, als ich fälschlicherweise annahm, es nicht mehr ertragen zu können. Die einzige Möglichkeit dazu erschien mir, meinen Kopf in den ekelhaften Eimer zu senken und ihn dort zu lassen, bis ich nicht mehr atmete. Doch im letzten Moment zog ich ihn wieder heraus, kotzte und heulte. Und dann kam Er hinein, schüttelte missbilligend mit Seinem maskierten Kopf und säuberte mich. Wenn Er besonders verärgert war, ließ Er mich tagelang ungewaschen, damit ich auf keine dummen Gedanken mehr kam. Selbst in den Momenten, in denen mein Mut mich vollkommen verließ, wollte ich weiterleben, wenn auch nur unbewusst. Sonst hätte ich mich schon längst in dem Eimer ertränkt. Doch diese neue Gemeinheit, die Er sich für mich überlegt hatte, stellt alles, was ich bisher durchgemacht hatte, in den Schatten. Der Lärm wird immer lauter, während ich immer müder werde. Plötzlich wird mir klar, was Er mit mir vorhat: Er will mich durch den Schlafentzug bestrafen! Ich hasse Ihn so sehr, dass es mich schwindelig macht. Gleichzeitig bewundere ich Ihn für seine Raffinesse. Ich hasse und liebe Ihn gleichzeitig, und erwache durch diesen Widerspruch zu einem neuen Leben. Ich erkenne Seinen

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