Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte
möglichst schnell schlechter gehen möge, damit es ihm möglichst schnell wieder besser gehen konnte. Den Kummer, dass jedermann mit ihm sprach, als sei er schwerhörig oder behindert oder ein Kind, dem man alles bis zum Letzten erklären musste. Diese Achterbahnfahrt aus Hoffnung und Enttäuschung und wieder Hoffnung und Enttäuschung.
Er hatte sein ganzes Leben satt und überhaupt alles, alles, alles …
Und dann stellte er auch noch fest, dass Claudi ebenfalls eine Löffelliste angelegt hatte. Die bestand zwar nur aus drei Punkten, aber Löffelliste war Löffelliste. Da war ihm endgültig klar geworden, dass er sie mit in den Abgrund riss. Er war wie eine Tumorzelle, die ihre intakte Umgebung zersetzte und auffraß.
Claudi, ach Claudi … Sie zerriss ihm fast das Herz. Er konnte ja nicht mal mehr mit ihr schlafen. Er konnte es schlicht und ergreifend nicht, so sehr er es auch wollte. Eine Zeit lang hatte er sie noch mit den Händen, der Zunge und den Augen befriedigt, und sie hatte dieses Geschenk dankbar entgegengenommen. Aber inzwischen war ihrem gemeinsamen Sexleben endgültig die Puste ausgegangen. Nichts ging mehr, auf beiden Seiten.
Wenigstens den Geschlechtstrieb hätte die Krankheit ihm lassen können. Es gab so viele Dinge, die sie ihm aufhalste, aber dass sie ihm auch den Sex genommen hatte, war unfassbar. Manchmal vibrierte die Erinnerung daran noch durch seinen Körper. Dann fantasierte er von wilden Sauereien, an denen Claudi und er in ihrer hemmungslosen Gier teilnahmen, von zügellosen Sauf-, Fress- und Fickorgien und wüsten Drogenpartys, auf denen sie Gras rauchten und von anonymen Händen berührt wurden, bis sie den Verstand verloren …
Aber in der Realität bekam er keinen mehr hoch. Nie! Sein Kopf machte ihm dauernd Vorschläge, wie er das Problem in den Griff bekommen könnte, aber sein Körper wollte einfach nicht mitspielen. Es gab keine Erlösung mehr für ihn. Claudi behauptete zwar, dass sie sich nicht in seine verdammte Potenz verliebt habe, sondern in ihn, aber das nahm er ihr nicht ab. Sie war eine junge und gesunde Frau, und sie hatte ihre Bedürfnisse, selbst wenn sie tausendmal das Gegenteil behauptete.
Als René damals krank wurde, hatte er sich geschworen, zumutbare Schmerzen und Herausforderungen auch als zumutbar anzunehmen und auszuhalten. Er wollte keine Angst vor ihnen haben, sondern sie kennenlernen und mit ihnen leben. Er wollte die Krankheit akzeptieren, ohne ständig darüber zu jammern. Er wollte sogar die Liebe, die ihm entgegengebracht wurde, aushalten, selbst wenn die manchmal so groß war, dass sie kaum auszuhalten war.
Aber! Mein! Gott! Das, was er jetzt erdulden musste, hielt ja kein Schwein aus.
Manchmal waren die körperliche Qual und der damit verbundene Psychogrusel so tief und gewaltig, dass er sich nur staunend fragen konnte, wie so etwas überhaupt möglich sei. Beides hatte den Geschmack von Endlosigkeit an sich.
Warum konnte er nicht an einem Herzinfarkt krepieren, wie andere Leute auch? Warum musste es ausgerechnet PSC sein, diese tückische, quälende, unberechenbare, mal schnell, mal langsam verlaufende Autoimmunerkrankung, die kaum jemand kannte und gegen die es keine wirksame Therapie zu geben schien?
Nun, die Frage erübrigte sich inzwischen. Da sein Leben zu einem einzigen Ausnahmezustand geworden war, würde er demnächst die Flucht nach vorn antreten und sich davon befreien.
Dann war er endlich wieder Herr im eigenen Haus.
Exit und cut.
Nur der Gedanke an Claudi brannte wie eine offene Wunde. Sie hatte die Gabe, ihn glücklich zu machen, sie war so herzergreifend, sie war das Licht, das alles erhellte. Aber wenn er ihr nichts anderes mehr bieten konnte als Elend und Schmerz, war sie ohne ihn besser dran. Außerdem hatte sie immer noch ihren Ex - wie hieß er doch gleich? -, und der würde sie mit Freuden zurücknehmen. Auch mit Tanja verstand sie sich bestens. Die beiden Frauen konnten sich gegenseitig Halt geben, wenn er nicht mehr da war. Sie würden sich auch gemeinsam um seine Eltern kümmern. Das war in gewisser Hinsicht ein tröstlicher Gedanke.
Die Frage war nur: Wann, wie und wo sollte er gehen? Genau genommen gab es keinen perfekten Zeitpunkt, keine perfekte Methode und keinen perfekten Ort. Also konnte er es ebenso gut gleich tun. Jetzt war der perfekte Zeitpunkt, hier war der perfekte Ort, und was die Methode betraf … Nun, da gab es verschiedene Möglichkeiten.
Er konnte einen seiner Kletterstricke nehmen und sich am
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