Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte
verzog nur den Mund.
„Hast du deine Papiere schon bekommen?“, fragte Claudia übergangslos.
„Ja.“
„Dann können wir also gehen?“
„Aber nicht mit dem Ding da“, sagte René und deutete auf den Rollator. „Glaubst du im Ernst, dass ich damit durch die Gegend zockel? Das mach ich nicht, ich denk nicht dran. Lieber kriech auf Händen und Knien zum Parkplatz. Habt ihr schon mal was von Survivel of the Fittest gehört?“
„René!“, sagte Tanja, schon leicht grantig angesichts der brüderlichen Sturheit.
Aber René wäre nicht René, wenn er nicht bei seinem Vorhaben bleiben würde. Als sie wenig später die Station und die Klinik verließen, setzte er vorsichtig einen Fuß vor den anderen, tastete sich an Wänden entlang, stützte sich auf Handläufen ab, ergriff Claudias Arm, wenn er keinen anderen Halt mehr fand, legte hier und da eine kurze Rast auf einer Bank ein … und kam schließlich wohlbehalten und ohne das vermaledeite Hilfsmittel beim Parkplatz an. Immerhin hatte er sein Gepäck daraufgestapelt, sodass seine Schwester es wie einen Kofferkuli hinter ihm herschieben konnte.
Abends trafen Claudia und Tanja sich mit den anderen Gesprächskreismitgliedern in ihrem Stammlokal in der Innenstadt.
Die Gruppe hatte im Laufe der Zeit reichlich Zuwachs bekommen und zum Teil schon wieder verloren. Wen hatte Claudia nicht alles kommen und wieder gehen sehen.
Die übereifrige Medizinstudentin, die einen gemeinnützigen Verein aus ihnen machen wollte und sich selbst gleich als Erste Vorsitzende ins Gespräch brachte.
Den trinkfesten Geschäftsführer eines Maschinenbaubetriebs, der wenige Wochen nach der Transplantation seinen exzessiven Alkoholkonsum wieder aufnahm und Chrissi und Olli, als sie ihn schließlich erbost vor die Tür setzten, antrötete: „Was hängt ihr auch immer in diesen Kneipen herum? Das sind Pisskneipen! Da soll man wohl rückfällig werden.“
„Jetzt mach mal halblang“, sagte Chrissi. „Deinetwegen haben Leberkranke so ein mieses Image.“
„Meinetwegen? Ihr seid schuld, wenn ich wieder im Sumpf lande, ihr, ihr, ihr!“
„Schleich di, du Zammgsuffana!“, rief René ihm nach.
Für einige Leute war der Gesprächskreis auch zur letzten Zuflucht geworden.
Für das Ehepaar Langner zum Beispiel, das früher in der Hausbesetzerszene aktiv war und jetzt auf einem Resthof in der Umgebung lebte. Die beiden waren Ende 60 und wollten die anderen Gruppenmitglieder ständig mit eigens angefertigten, kratzigen Pullovern aus Filzwolle beglücken. Sie umstrickten auch Hydraten, Parkpoller und Baumstämme und hatten deswegen oft Ärger mit dem Ordnungsamt. Aber das hinderte sie nicht daran, weiterzumachen wie bisher. Früher hatten sie sogar an Straßenschlachten teilgenommen. Jetzt strickten sie eben. Sie strickten, dass die Nadeln glühten und als ginge es um ihr Leben.
Das ging es auch. Beim dritten Treffen erfuhren die anderen wie zufällig, dass Frau Langner Leberkrebs hatte und Herr Langner als Spender ausschied, weil bei ihm während der Voruntersuchungen zur Transplantation die gleiche Krankheit diagnostiziert wurde. Da beide für eine postmortale Spende nicht mehr in Betracht kamen, hatte sich die Sache mit dem neuen Leben für sie erledigt.
Niemand wagte zu lästern, als sie gleich nach dieser schockierenden Enthüllung ihr Strickzeug herausholten, an den anderen Gruppenmitgliedern Maß nahmen und sie nach ihren Wünschen bezüglich der Farbe und der Passform der Pullover fragten.
Claudia konnte sich noch gut an die Gesichter der Langners erinnern. Es waren die von Menschen, die wussten, dass keine ärztliche Kunst sie mehr retten konnte, und die vorhatten, an dieser Tatsache nicht zu zerbrechen.
„Tja Leute, so ist das eben“, sagten sie nur.
Das Ehepaar war inzwischen verstorben.
Aber es gab auch ermutigende Beispiele. Allerdings waren es nicht viele. Genau genommen handelte es sich um ganze zwei Fälle.
Da war zum einen eine junge PSC-Patientin, die nach der erfolgreichen LTX geheiratet hatte und nun sogar ein Kind bekam.
Zum anderen hatte ein 79-Jähriger die Leber eines 80-Jährigen bekommen. Danach witzelte er immer, dass die Ärzte aus zwei schrottigen Körpern einen gesunden zusammengebastelt hätten. Manchmal bezeichnete er sich auch als Frankensteins Monster, aber das klang eher liebevoll als zynisch. Er genoss sein neues Leben und war kürzlich sogar zu seiner Tochter nach Amerika geflogen.
Insgesamt kamen Claudia und die anderen
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