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Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte

Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte

Titel: Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Steen
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Fensterkreuz oder an der Duschstange erhängen. Aber die Vorstellung, dass Claudi ihn dann mit heraushängender Zunge und vollgeschissener Windel finden würde, nahm ihm den Atem. Das konnte er ihr beim besten Willen nicht antun.
    Deshalb schieden auch die beiden nächsten Methoden, sich mit einer Rasierklinge die Pulsadern aufzuschneiden oder mit einem Schwert Harakiri zu begehen, von vornherein aus. Zumal er immer noch die starke Vermutung hatte, dass Claudis Vater sich damals bei dem Autounfall umbringen und sie und ihre Mutter mitnehmen wollte. Obwohl er es natürlich nicht genau wusste. Sie redete ja nie über die Geschichte. Nach sechs Jahren Beziehung war da immer noch so viel Unausgesprochenes zwischen ihnen. Auch das machte ihn total fertig. Andererseits … Vielleicht war er nicht ganz unschuldig an dieser Entwicklung. Schließlich hatte er sie selbst belogen und betrogen, bis das Lügengerüst irgendwann eingestürzt war und ihn fast unter sich begraben hätte.
    Auf jeden Fall durfte er ihr so ein blutiges Trauma kein zweites Mal aufhalsen. Unmöglich.
    Eine weitere Möglichkeit: Er konnte alle seine Medikamente auf einen Schlag nehmen. Die Wirkstoffe würden ihn zuverlässig ins Jenseits befördern. Andererseits konnte er sie auch auf einen Schlag weglassen. Aber das bedeutete einen langsamen und qualvollen Tod, und den musste er Claudi und sich selbst ersparen. Er wollte das Ende zwar freundlich, ja freudig begrüßen, aber vor dem Sterben selbst hatte er Angst.
    Er konnte sich eine Plastiktüte über den Kopf ziehen und sie am Hals zubinden. Aber Ersticken hatte er sich noch nie richtig prickelnd vorgestellt.
    Er konnte einen Zementklumpen an seine Füße ketten und sich dann mit Claudis Dienstwagen von einer Brücke aus in den Fluss stürzen. Aber Ertrinken gehörte sicher zu den grausigsten Todesarten.
    Er konnte sich mit Benzin übergießen und anzünden. Aber nein, bloß nicht!
    Er konnte einen Killer engagieren, der ihm auflauerte und umnietete. Wahlweise konnte er auch selbst zur Knarre greifen. Aber er wusste nicht, wie und wo man an so ein Ding herankam. Wahrscheinlich auf irgendeiner dubiosen Website. Aber auf welcher? Ob Frank es wusste? Er verwarf diesen Gedanken wieder.
    Am besten war es wohl, wenn er sich von einem Turm fallen ließ. Das bedeutete kein langsames Dahinsiechen, sondern ein schnelles Ende mit durchschlagendem Erfolg. Die Höhe schreckte ihn nicht, denn als ehemaliger Kletterer war er sie gewohnt. Natürlich würde das eine irre Schweinerei geben, wenn er nach ein paar Sekunden Flug mit voller Wucht auf den Boden platschte und dort mit zerschmetterten Gliedern tot liegen blieb. Dafür würde Claudi ihn nicht zuerst finden, und die Polizei würde dafür sorgen, dass ihr dieser Anblick erspart blieb.
    Was gab es für Türme in der Stadt?, überlegte er weiter. Neben den Kirchtürmen und einigen Fabrikschornsteinen fielen ihm spontan nur drei ein: das 12-stöckige Gebäude der Oberfinanzdirektion in der Nähe des Bahnhofs, der Steile Zahn auf dem Unigelände und der Graf-von-Moltke-Turm im Wald oberhalb der Schlegelterrassen. In die ersten beiden würde er wahrscheinlich nur unter Schwierigkeiten gelangen. Womöglich quatschte ihn im Treppenhaus noch jemand an und wollte wissen, was er hier verloren habe. Am besten war die dritte Möglichkeit, der Graf-von-Molkte-Turm. In den würde er ohne Scherereien hineinkommen. Er musste sich nur eine Eintrittskarte kaufen.
    Je länger er über die Idee nachdachte, desto brauchbarer fand er sie. Wenn er seinem Leben schon ein Ende bereiten musste, wollte er es hoch über der Stadt und über Claudis und seiner Wohnung tun. Er würde einfach wie ein Engel mit ausgebreiteten Armen durch die Kronen des Buchenwaldes schweben, bis es nach dem dumpfen Aufprall von jetzt auf gleich vorbei war.
    In den nächsten Tagen nahm sein Plan immer konkretere Formen an, und am Sonntag beschloss er: Ja, ich mach’s. Heute! Jetzt!
    Die Gelegenheit war günstig. Der Turm hatte geöffnet, und Claudi war mit Chrissi und deren Kinder auf den Resthof von Chrissis Eltern gefahren, um dort Blutwurst zu machen. Die beiden Alten hatten gestern ein Schwein schlachten lassen und waren nun dabei, es zu verarbeiten. Für Claudi ein willkommener Anlass, an ihrer krankhaften Furcht vor dem roten Saft zu arbeiten. Hoffentlich zeigten Chrissis Eltern ihr die Leber. Mit etwas Glück würde sie dann in Ohnmacht fallen und für den Rest des Lebens kuriert sein. Obwohl …

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