Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte
saugte und gurgelte, rann ein Speichelfaden aus ihrem Mund, zog sich in die Länge und traf ihn schließlich an der Wange. Ihre Kulleraugen rollten suchend umher, bis sie seinen Blick gefangen hatte. Dann krähte sie vergnügt und streckte die Ärmchen nach ihm aus. Claudi hielt sie tiefer übers Bett, sodass ihre aufgeregt fuchtelnden Händchen Renés Gesicht und seine Haare berühren konnten. Er fing sie ein, hielt sie fest und küsste jeden einzelnen Finger. Am liebsten hätte er sie für immer festgehalten, aber irgendwann wurde es ihm doch zu viel. Die OP heute Morgen war zwar gut verlaufen, aber er war müde, und die Narkose wirkte noch nach.
„Entschuldige, mein Engel“, sagte er und drückte sie sanft, aber bestimmt zurück.
„So, das reicht jetzt, Mia“, sagte Claudi mit dieser aufgesetzten Fröhlichkeit, die sie jetzt oft an den Tag legte, und nahm die Kleine wieder auf den Schoß. „Dem Papa geht’s gerade nicht so gut. Wir lassen ihn mal fünf Minuten in Ruhe.“
Einen Augenblick lang herrschte eine fast andächtige Stille im Krankenzimmer. Nur Pia brabbelte weiter vor sich hin und strampelte mit den Beinchen in der Luft herum.
René sah seine Familie erschöpft, aber zufrieden an. Wenn es den da oben tatsächlich gab, war er ein Mistkerl. Aber er hatte ihm Claudi und Mia geschenkt, und das war mehr, als René zu hoffen gewagt hatte. Wobei er es immer noch nicht fassen konnte, dass seine Tochter, dieses fleischgewordene Wunder, am Abend nach seinem Beinahesuizid gezeugt worden war. Nicht von dem Kerl mit der grausig entstellten Fratze, der ihn damals im Spiegel angesehen hatte. Nein, von ihm, von ihm selbst. Wie er das damals hinbekommen hatte, wo er doch eigentlich impotent war und an dem Tag auch schon allerhand hinter sich hatte, war ihm heute noch schleierhaft. Auf jeden Fall hatte Claudi sich ihm an diesem Abend ganz hingegeben und auch nicht auf ein Kondom bestanden. Sie wollte es wohl genauso sehr wie er.
Ihre anschließende Schwangerschaft hatte sie erst skeptisch, dann staunend und schließlich freudig zur Kenntnis genommen. Dass sie eigentlich keine Kinder hatte haben wollen, war nach wenigen Wochen vergessen. Und als Nia dann geboren wurde, hatte nicht nur Renés, sondern auch ihr Leben für einen Moment stillgestanden. Seitdem trug sie die Kleine in ihrem Herzen und in ihren Armen, lächelte verzückt auf sie herab und wollte von ihren früheren Vorbehalten gegen eigenen Nachwuchs nichts mehr wissen.
Manchmal kamen die Dinge eben erst zu einem, wenn die Zeit dafür reif war. Man konnte das Schicksal oder sonst wie nennen. Claudi war jedenfalls erst mit 41 Jahren für ein Kind bereit gewesen. Nun genoss sie ihr spätes Mutterglück und erfreute sich an der Kleinen, wie sie es selbst niemals für möglich gehalten hätte. Und noch ein Wunder war geschehen: Seit Rias Kaiserschnittgeburt hatte sie plötzlich keine Angst mehr vor Blut. Die war wie von Zauberhand weggewischt.
Insgesamt war er ein echtes Glückskind, fand René. Er hatte eine wunderschöne Frau und einen pummeligen Wonneproppen mit rötlich blonden Flusenhaaren, tiefgründigen blauen Augen und den längsten und seidigsten Wimpern, die er je gesehen hatte.
Vielleicht hatte Sergeant Meyer doch recht gehabt, als er damals was von gewonnenen Schlachten in Kriegen, die so gut wie verloren waren, faselte. Das Hohelied der Army ließ sich auch auf andere Bereiche des Lebens übertragen.
Aber eben leider nicht auf alle.
Nun war René seit einem Vierteljahr endlich Vater, aber er hatte nichts mehr davon, weil die Krankheit ihm jetzt ernsthaft die Zähne zeigte. Er wurde immer schwächer, seine Laborwerte waren unter aller Kanone und die Schmerzen im Oberbauch wollten überhaupt nicht mehr nachlassen.
Die Probleme und Symptome umzingelten ihn förmlich, sodass er die meiste Zeit im Krankenhaus verbringen musste. Und wenn er doch mal für ein paar Tage zu Hause war, lag er nur wie ein Jammerlappen auf dem Sofa und wartete darauf, dass die Klinik anrief, um ihm eine neue Hiobsbotschaft zu übermitteln. An ein normales Familienleben war in dieser Situation nicht mehr zu denken.
Das ging so weit, dass er manchmal ins Grübeln kam. Er war immer noch dagegen, dass Claudi ihm ein Lebersegment spendete, aber inzwischen fragte er sich, ob er nicht doch darauf eingehen sollte. Okay, das war der absolute Oberwahnsinn! Sie hatten jetzt ein Kind. Aber wenn man die Sache aus einem anderen Blickwinkel betrachtete, wäre es doch ganz
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