Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte
desinfizierte, fiel René etwas Wichtiges ein, und das war nicht selbstverständlich, denn sein Kopf fühlte sich in letzter Zeit merkwürdig kraus an. Er hätte dem Mann gern gesagt, dass sie vorhin ein Jubiläum hatten: Das war heute die 20ste ERCP mit Stent gewesen, und sie hatte auf Anhieb geklappt. Wenn das kein Grund zum Feiern war. Schade, dass er keine Flasche mit alkoholfreiem Prosecco dabeihatte. Dann hätte er vorhin im OP eine Runde schmeißen können. Obwohl Nils Wallin ihn wahrscheinlich daran gehindert und gesagt hätte: „Keine Chance, Herr Doktor Sommerfeldt. Wir lassen Sie vielleicht mal am Lachgas schnuppern, aber mehr ist nicht drin.“
Er wollte so gern mit dem Arzt herumflachsen, aber er schaffte es nicht mehr, seine Gedanken in sinnvolle Worte und Sätze zu fassen. Sie waren wie Wackelpudding und glitschten ihm immer wieder weg. Also lächelte er nur, als Nils Wallin in seiner umfangreichen Krankenakte blätterte und dabei ein Gesicht machte, als würde er einen Auszug aus Dantes Inferno lesen. Zwischendurch strich er sich mit den Fingern durchs Haar, nahm seine Brille ab und rieb sich die Augen. Schließlich legte er die Akte beiseite, kontrollierte die Zuleitung von Renés Tropf, tastete mit warmen Fingern nach seinem Puls und schäkerte ein bisschen mit Nina herum.
Claudia bot ihm einen Stuhl an, aber das er lehnte ab und zog sich stattdessen mit ihr in eine Zimmerecke zurück, um dort etwas mit ihr zu betuscheln. Irgendwie herrschte heute keine gute Stimmung zwischen ihnen. Während Nils Wallin wohlwollenden Optimismus verströmte, redete Claudia sich zunehmend heiß, und am Ende war sie richtig sauer. René wünschte, die beiden würden ihn endlich wie einen mündigen Patienten und Bürger behandeln und ihn in das Gespräch mit einbeziehen. Schließlich ging es hier doch um ihn. Er war der Hauptdarsteller in diesem Drama. Aber in letzter Zeit behandelten sie ihn wie einen Halbwüchsigen oder Behinderten, mit dem man gewisse Dinge nicht besprechen konnte.
Nachdem der Arzt das Zimmer verlassen hatte, kam Claudi mit der schläfrigen Ria auf dem Arm an sein Bett, schüttelte mit der freien Hand seine Decke auf und fragte ihn, ob er noch einen Wunsch habe. Dabei setzte sie wieder dieses aufmunternde, zärtlich-besorgte Lächeln auf, das er inzwischen hassen gelernt hatte. Wo war bloß ihr früheres Lachen hin? Das war so bezaubernd gewesen. Manchmal sah und hörte er es noch, wenn sie mit Mia herumalberte, aber für ihn selbst war es verschwunden. Ob sich das jemals wieder ändern würde?
„Ich hol jetzt Leo vom Bahnhof ab“, sagte sie schließlich und blickte ihn erwartungsvoll an.
Er tat ihr den Gefallen.
„Ganz schön dreist, dass du deinen Ex eingeladen hast, noch dazu für ein komplettes Wochenende“, sagte er, sich an das übliche Drehbuch haltend.
„Ich wünschte, du würdest ihm endlich eine Chance geben. Er macht sich Sorgen um uns und würde uns gern helfen.“
„Er würde dir gern helfen. Der Kerl baggert dich immer noch an. Meinst du, ich merke das nicht?“
„Aha, verstehe. Wir sind mal wieder eifersüchtig.“
„Ich hab nur Augen im Kopf und will nichts dem Zufall überlassen. Der Mann hat dich jahrelang gevögelt, und wenn er könnte, würde er es heute noch tun. Dass er sich nicht schämt, sich von dir aushalten zu lassen. Du bist doch kein Geldautomat.“
„Damit hatte Leo noch nie Probleme, und im Übrigen fahr ich jetzt los. Sag servus zu Papa, Mia.“
„Servus, mein Mäuschen“, sagte er und hob die Hand. „Mach winke, winke.“
Sein kleiner Engel blinzelte ihn nur müde an.
Nachdem Claudi weg war, ließ René sich in seine Kissen zurückfallen und wartete. Und wartete und wartete. Und wartete und wartete. Aber sie wollte einfach nicht zurückkommen. Dabei hätte sie spätestens nach einer Dreiviertelstunde wieder da sein müssen. So weit war der Bahnhof doch nicht entfernt. Ob der Zug Verspätung hatte? Aber dann hätte sie sich doch bei ihm gemeldet. Sie hätte ihn niemals im Ungewissen gelassen. Auch in der Beziehung war sie sehr gewissenhaft.
Nach einiger Zeit hielt René es nicht mehr aus und wollte sie anrufen. Aber leider kam er nicht mehr mit seinem Mobiltelefon zurecht. Er starrte es an und kaute ratlos auf seiner Unterlippe. All diese Zeichen und Hieroglyphen und Symbole … Wer sollte da noch durchsteigen!? Also gab er es auf, quälte sich aus dem Bett und schlüpfte mit den Füßen in seine Bambusflipflops. Vielleicht konnte er vom
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