Der Tag, an dem meine Frau Gott spielte
Flurfenster aus nach Claudi Ausschau halten. Von da aus hatte man einen Teil der Besucherparkplätze im Blick.
Am liebsten hätte er seinen Rollator mitgenommen. Aber er hatte nur zwei Hände zur Verfügung. Also schlurfte er, auf seinen Infusionsständer gestützt, langsam aus dem Zimmer und den Gang entlang. Dort roch es wie üblich nach scharfen Reinigungs- und Desinfektionsmitteln und abgestandenem Essen.
Gott sei Dank machte der Ständer auf dem gebohnerten Linoleumfußboden keinen Krach. Seine Räder glitten fast geräuschlos dahin. So konnte René völlig unbehelligt von Schwester Rosana seinen Weg fortsetzen. Er hörte zwar ihre Stimme, aber sie war nirgendwo zu sehen, denn auf der Station herrschte gerade Mittagsruhe.
Unterwegs konnte er durch offene oder angelehnte Türen in die anderen Räume blicken und sah lesende oder trübe vor sich hinstarrende Patienten, die an Kanülen, Schläuchen oder metallisch klickenden und summenden Messgeräten hingen und mit dem Leben kämpften. Manche rangen auch mit dem Ende. Ihre Gesichter waren bis auf die Knochen eingeschrumpft, und um ihre Augen lagen bereits die pechschwarzen Schatten des Todes.
Der Krankenhausflur, der sich vor René auftat, war lang und wurde immer länger. Das Deckenlicht war von gleißender Helligkeit und biss ihn in die Augen. Aber er kämpfte sich tapfer und immer auf der Hut vor Schwester Rosana voran, bis er das Fenster endlich erreicht hatte.
Draußen hing feiner Regen wie ein Sprühschleier in der Luft. Das Licht war trübe und verhangen, als würde die Dämmerung gleich einsetzen. Der Parkplatz lag still und verlassen da, denn die meisten Besucher kamen erst nachmittags. René drückte sich die Nase an der Scheibe platt, blickte angestrengt hinaus und fing wieder an zu warten.
Nach einer gefühlten halben Stunde hatte er sich endgültig sauer gewartet und beschloss, Claudi draußen zu suchen, denn von hier aus konnte er nicht das ganze Terrain überblicken. Vielleicht saßen Leo und sie noch im Auto und sprachen miteinander. Vielleicht hielten sie sich dabei sogar im Arm. Das durfte nicht sein.
Also machte er sich auf den Weg, verließ die Station, taperte langsam und wie ein uralter Mann zum Fahrstuhl, betrat ihn, drückte die Eins, fuhr abwärts, verließ ihn wieder, ging ein paar verwinkelte Korridore entlang, die nur von Neonfunzeln erleuchtet wurden, bemerkte seinen Irrtum erst, nachdem er etliche Milchglasschwingtüren und Kreuzungen passiert hatte, suchte den Weg zurück, drückte im Lift die Vier, was zur Folge hatte, dass er in ein verwirrendes Labyrinth aus Gängen und Treppen geriet, das ihn erst nach Ewigkeiten wieder freigab, und landete schließlich in einem Andachtsraum, der zwar farbig hinterleuchtete Fenster hatte, ansonsten aber den Charme einer Betongruft ausstrahlte. Dort saßen drei schwarz gewandete Frauen vor einem hölzernen Kreuz und schluchzten hyperventilierend vor sich hin. Die Szene hatte fast etwas Endzeitartiges an sich.
„Griaß Godt beinand“, sagte er. „Wissen Sie vielleicht, wo der Parkplatz ist?“
Die drei drehten die Köpfe herum und sahen ihn schwer atmend und aus verschwiemelten Augen an. Keiner sagte etwas.
„Wissen Sie wenigstens, wo diese Gastrodingsbums … diese komische Abteilung ist?“, fragte er, nun schon etwas grantig. Warum redeten die nicht mit ihm?
Immer noch keine Reaktion.
René unterdrückte einen Fluch, verließ den Raum, schlurfte weiter suchend umher, drückte im Aufzug das U, wodurch er in den Katakomben der Klinik landete, die ihn an historische Kellerverließe erinnerten und in denen alles Leben ausgelöscht zu sein schien, sodass er schließlich verärgert beidrehte und erneut im Fahrstuhl landete.
Nach einer schier endlosen Odyssee durch mehrere Stockwerke, Gänge und Treppenhäuser erreichte er wie durch ein Wunder doch noch den Eingangsbereich der Klinik. Inzwischen war er völlig außer Atem und schwitzte wie blöd, aber für Claudi und die Parkplatzsuche war er bereit, alles zu geben.
Ein Besucher wollte ihm am Verlassen der Halle hindern, aber er schüttete ihn ab und knurrte: „Lass mi loas, du oide Scheißhausfliagn!“
Dann setzte er seinen Weg fort. Den Ständer über die noppige Schmutzfangmatte zu bugsieren war nicht einfach, aber mit viel Gerumpel und Geziehe schaffte er es.
Draußen standen zwei ältere Männer unter dem Vordach und rauchten Zigarillos. Als er in ihr Blickfeld geriet, erstarrten sie und sahen ihn an. Der eine sagte etwas, das
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