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Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Titel: Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raufeisen
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sollte. Die Stasi-Leute haben überhaupt nicht begriffen, was in uns vorging. Sie versprachen uns das Blaue vom Himmel herunter.
    Mein Vater sollte eine lukrative Arbeitsstelle in seinem Fachbereich erhalten. (Er erhielt dann auch im Frühjahr 1979 eine Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter im „Zentralen Geologischen Institut“ im Bereich Geophysik und war dort direkt dem Direktor unterstellt.)
    Meinem Bruder Michael und mir sollten alle nur erdenklichen Möglichkeiten einer beruflichen Entwicklung offen stehen. Nur konnten wir den Ort dafür nicht mehr frei wählen. Darin sahen unsere „Betreuer“ kein Problem.
    Michael hatte in Hannover gerade die Hälfte des Berufsgrundbildungsjahres hinter sich, wollte dann Bauzeichner lernen, das Fachabitur machen und anschließend Architektur an der Fachhochschule studieren. „Willi“ sagte dazu: „Natürlich wirst du bei uns alle deine Pläne verwirklichen können. Wir werden dafür sorgen, dass du unter allen Umständen die notwendigen Abschlüsse erhältst. Später richten wir dir ein Architektenbüro ein, was du privat führen kannst.“ Was für Versprechungen! Und das alles durch die Gnade und Freigebigkeit der Stasi! Schon diese Versprechungen klangen so überzogen, dass sie völlig unglaubwürdig waren.
    Michael sollte also zunächst bis zum Sommer in einem Architektenbüro eine Art Praktikum machen, um dann eine entsprechende Ausbildung zu beginnen. Er dachte aber nicht im Traum daran, das mitzumachen. Er sagte den Stasi-Leuten ganz deutlich, dass er auf keines ihrer Angebote eingehen wolle und er nicht käuflich sei. Seine Position war etwas besser als meine. Wir wollten beide schnellstmöglich zurück. Der entscheidende Unterschied war nur: Er war schon volljährig, ich nicht.
    Mir sagten sie, ich würde natürlich das Abitur machen können und danach studieren; sie würden mir jeden Studienwunsch erfüllen und auch dafür sorgen, dass ich die Abschlüsse erhalte. Ich sagte nur kurz dazu: „Wie soll das funktionieren? Das Schulsystem im Westen ist völlig anders! Außerdem gibt es viele Fächer im Unterricht in der DDR, die ich nie hatte und so auch keine Grundlagen besitze, um in der 11. Klasse einzusteigen.“ Dazu sagte Willi: „Das wird alles kein Problem sein. Vom Unterricht in Fächern, die du bisher nicht hattest, wirst du befreit. Außerdem sorgen wir für Förderunterricht, es gibt auch die Möglichkeit, eine Schule für Kinder von Diplomaten zu besuchen, um einen möglichst komplikationslosen Übergang auf die schulischen Verhältnisse der DDR zu erreichen. Wir werden auf alle Fälle dafür sorgen, dass du alles schaffst!“ „Und wenn ich die geforderten Leistungen nicht erbringen kann?“ „Wir sorgen dafür, dass du die Abschlüsse bekommst!“ Aha, so soll das also aussehen: Egal, wie gut ich bin, die Stasi sorgt für die nötigen Zeugnisse auch ohne entsprechende Leistungsnachweise. Eine furchtbare Vorstellung. Mir war sofort klar, dass ich von diesen Leuten immer abhängig sein würde, bei jeder späteren Arbeitsstelle würde ich das Stigma der Stasi-Verbindungen tragen. So etwas bleibt doch nicht verborgen. Besonders dann nicht, wenn ich vielleicht fachlich mit den Kollegen nicht mithalten kann.
    Ich sagte noch: „Wir sind doch in Berlin, ich könnte doch wenigstens ein Gymnasium in Kreuzberg besuchen…“ Diese Idee empfanden die Stasi-Leute als ungeheuerlich. Das wäre natürlich ganz und gar unmöglich. Willi sagte dazu: „Wenn wir das erlauben würden, wäre deine Sicherheit und die deiner Familie stark gefährdet. Sie werden dich dort sofort festsetzen und als Faustpfand benutzen!“ Spinnt Ihr denn alle? Unglaublich! Ich musste sofort an das Sprichwort denken: „Was ich selber denk und tu, das trau ich auch den andern zu!“ Die Gefährdung von uns allen war übrigens eines ihrer Hauptargumente dafür, dass sie keinen von uns wieder in den Westen lassen könnten. Dort würden wir alle sofort im Gefängnis landen. Ich weiß nicht, ob sie das wirklich selber glaubten. Aber wenn nicht, hielten die uns für so dumm, dass wir ihnen das abkaufen würden?
    Aber irgendwie mussten wir uns ja mit der Situation arrangieren. Meine Eltern und ich hatten schließlich „freiwillig“ die (bundes-)deutsche Staatsbürgerschaft aufgegeben.
    Schließlich wurde festgelegt, dass die Stasi-Leute eine geeignete Schule für mich aussuchen würden. Da schon klar war, dass ich mindestens einige Wochen verlieren würde, sollte ich zur Eingewöhnung

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