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Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Titel: Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raufeisen
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unterschrieben. Es waren Anträge zum Erwerb der Staatsbürgerschaft der DDR! Auf diese offensichtliche Lüge später angesprochen, sagten die Stasi-Leute nur, das wäre sowieso nur ein Pro-forma-Akt gewesen, da wir aufgrund der „Arbeit“ meines Vaters schon immer DDR-Bürger gewesen seien! Was sollte dann der ganze Zirkus mit diesen Anträgen? Auch meinem Bruder legten sie einen Antrag zur Einbürgerung zur Unterschrift vor, zum Glück allerdings erst etwas später, nachdem mein Vater gemerkt hatte, dass er hereingelegt worden war. Deshalb warnte er meinen Bruder, der unmissverständlich klar gemacht hatte, dass er nicht in der DDR bleiben wird, eindringlich davor, das zu unterschreiben. Michael weigerte sich auch und forderte seine sofortige Rückkehr in den Westen. Vorerst geschah nichts. Ich war leider erst 16, mit der Unterschrift meines Vaters erhielt ich zwangsweise die verhasste DDR-Staatsbürgerschaft, ich konnte mich nicht dagegen wehren. (Wobei ich sehr viel später, irgendwann nach zwei Jahren, in einer Buchhandlung auf ein schmales Bändchen zur DDR-Staatsbürgerschaft stieß. Dort hieß es tatsächlich, dass es vorgeschrieben sei, dass Menschen, die mindestens 14 Jahre alt sind, ihre Einwilligung geben müssen, wenn sie eingebürgert werden möchten. Ich habe dieses Einverständnis nie gegeben! Als ich dann die Stasi damit konfrontierte, sagten sie wieder: „Das gilt ja für euch gar nicht. Ihr wart doch eigentlich immer DDR-Bürger.“) Nun saßen wir jedenfalls noch tiefer in der Falle.
    Ich erlebte die Zeit wie in einer Schockstarre. Das Leben in Eichwalde glitt an mir vorbei, so als wäre es keine Realität, sondern nur ein nicht enden wollender Alptraum. Ich lag im Bett, starrte an die Decke und malte mir immer wieder aus, wie es wäre zurückzufahren. Ich konnte die Entscheidung noch nicht als endgültig hinnehmen. Damals kam mir immer wieder ein Lied in den Sinn, das ich auch zuvor schon gemocht hatte. „Wunderschätze“ von Novalis, einer deutschen Band. Die Platte hatte mein Bruder 1975 zu Weihnachten bekommen und ich hatte sie schon oft gehört. Aber hier, in der feindlichen Fremde, bekam das Lied noch einmal eine ganz andere Bedeutung für mich.

Novalis – Wunderschätze
    Wer einsam sitzt in seiner Kammer
und schwere bittre Tränen weint
wem nur gefärbt von Not und Jammer
die Nachbarschaft umher erscheint.
    Wer in das Bild vergang‘ner Zeiten
wie tief in einen Abgrund sieht
in welchen ihn von allen Seiten
ein süßes Weh hinunter zieht
    Es ist als lägen Wunderschätze
da unten für ihn aufgehäuft
nach deren Schloss in wilder Hetze
mit atemloser Brust er greift.
    Die Zukunft liegt in öder Dürre
entsetzlich lang und bang vor ihm
er schweift umher, allein und irre
und sucht sich selbst mit ungestüm.
     
    „Die Zukunft liegt in öder Dürre entsetzlich lang und bang vor ihm.“ Für wen anders als für mich konnten diese Zeilen geschrieben sein? Ich, nur ich war gemeint! Erst viel später habe ich erfahren, dass der Text aus dem 18. Jahrhundert stammt und dass nicht nur die Band, sondern auch der Dichter Novalis hieß. Noch immer habe ich diese Platte. Manchmal, wenn es draußen dunkel und kalt ist, lege ich sie heute noch auf. Die Platte, nicht die CD, die ich inzwischen auch besitze!
    Ich hatte damals in Eichwalde nicht den ganzen Text im Kopf, aber doch genug, um mich in seiner Schwermut baden zu können. „Wer in das Bild vergang‘ner Zeiten wie tief in einen Abgrund sieht“ – dem ging es so wie mir: Hannover, Zuhause, die Freunde – das war Vergangenheit. Es war so, wie wenn man von einer geliebten Frau verlassen wird: Man erinnert sich an all das Wunderbare, an die Wärme, die Geborgenheit, und sieht überhaupt keine Zukunft. Neu verlieben würde man sich nie wieder können. Nein, in Eichwalde oder in die DDR würde ich mich nie verlieben!
    Außer dem Alltag, der sich ja auch irgendwie eingestellt hatte, war für uns aber die Frage zentral, wie es nun mit uns weitergehen sollte? Dafür waren unsere Betreuer zuständig: „Willi“, „Jürgen“ und als dritter noch „Peter“. „Willi“ war offensichtlich der Ranghöchste von den dreien, er dominierte das Gespräch. Es war eigentlich gar nicht so, dass sie mit uns über unsere Zukunft sprachen, sondern es wurde nur über uns gesprochen. Mein Bruder und ich beteiligten uns auch kaum an diesem Gespräch, wir waren einfach nicht bereit, uns nach diesem Schock damit zu befassen, wie es mit uns in der DDR weitergehen

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