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Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie

Titel: Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Raufeisen
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reinzureißen? Wie kommt man dazu, sich als Spion zu verpflichten, für so ein Regime, mit einem derartigen Risiko für die ganze Familie? Es war auf jeden Fall ein unverzeihlicher Vertrauensbruch, uns nicht über seine Spionagetätigkeit aufzuklären, spätestens am 22. Januar 1979. Er wäre dann eben alleine nach Ostberlin gefahren. Aber er hatte eben auch Angst um seine Familie. Er war der alleinige Ernährer. Im Westen drohte Haft, natürlich die Entlassung. Demgegenüber versprach die Stasi das Blaue vom Himmel. Mein Vater merkte dann allerdings ziemlich schnell, für wen er da spioniert hatte. Die DDR, die er vorfand, hatte nichts mehr mit seinen Idealen zu tun. Im Gegenteil. Warum kam er nur so spät darauf? Wollte er es nicht wahrhaben? Vielleicht, weil dann sein ganzes bisheriges Leben, die ganze Konspiration, die Beschränkungen keinen Sinn ergeben hätten? Für die Versuche, alles gerade zu biegen, war es längst zu spät; er hatte schon jegliche Kontrolle verloren. So nahm die Katastrophe ihren Lauf.
    Und es gibt noch mehr Fragen: Wir suchten Hilfe von der Bundesrepublik, erhielten aber keine. Warum? Aus der bundesdeutschen Botschaft in Budapest wurden wir mehr oder wenige rüde hinauskomplimentiert. Dieses Verhalten sehe ich heute sehr kritisch. Dass sie kein großes Interesse hatten, meinem Vater zu helfen, ist nachvollziehbar. Aber was hatten meine Mutter und ich damit zu tun? Auch später während und nach der Haftzeit hatte ich nie den Eindruck, irgendjemand aus dem Westen hätte sich für mich oder meine Mutter eingesetzt. Eher wurde uns Misstrauen entgegengebracht. Im Schwarz-Weiß-Schema des Kalten Krieges blieben wir da letztlich in einer Grauzone hängen. Manche haben es sich da zu leicht gemacht.
    Natürlich ist meine Geschichte, unsere Familiengeschichte, nur eine Fußnote in der Geschichte des geteilten Deutschlands, aber jeder hat ja nur sein Leben, sein Schicksal. Mir jedenfalls sind totalitäre Strukturen jeder Art zuwider, denn meine Familie hat bitter erfahren müssen, wie unwichtig ein Einzelschicksal wird, wenn es um staatliche Interessen geht.
    Heute lebe ich in Berlin, habe eine Frau und zwei Kinder. Mein Geld verdiene ich damit, dass ich Besuchergruppen durch das Stasi-Untersuchungsgefängnis Hohenschönhausen führe – durch das Gefängnis, in dem ich über ein Jahr verhört worden bin.

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