Der Tag, an dem uns Vater erzählte, dass er ein DDR-Spion sei.: Eine deutsche Tragödie
Großeltern war es aber immer sehr schön, sie besaßen ein Haus, meine Oma vermietete Ferienzimmer, mein Opa seine 30 Strandkörbe. Alles in allem sehr idyllisch. Die Weltreise war aber auch eine Zeitreise. Die Autos sahen alle altmodisch aus. Die prächtigen Villen in Ahlbeck waren verfallen und alle grau. Bei uns zu Hause hatten die Häuser Farben. Ansonsten war es immer ein sehr schöner Strandurlaub, den wir meist mit meinen Cousins aus Erfurt und Gera verbrachten. Die DDR, das war für uns eben das nahe und doch ferne Land, in dem unsere Verwandten lebten. Trotzdem blieb es uns fremd. Wenn es mit der Bahn wieder nach Hause ging, merkte ich schon als kleines Kind, dass nach den Grenzkontrollen, die immer sehr lange dauerten, ein großes stummes Aufatmen durch die Abteile ging. Draußen erschien alles wieder heller, freundlicher, moderner, vertrauter.
Je älter ich wurde, desto bewusster erlebte ich die Merkwürdigkeiten der deutschen Teilung. Warum konnten wir unsere Onkel, Tanten und Cousins besuchen, sie uns aber nicht? Meine Großeltern besuchten uns jedes Jahr in Hannover, seit sie Rentner waren. Inzwischen, seit Anfang der 70er, war es uns auch erlaubt, mit dem eigenen Auto in die DDR zu fahren. Mit dem Auto fuhren wir nun nicht nur nach Ahlbeck, sondern immer auch für ein paar Tage zu meinen Onkel und Tanten in Erfurt und Gera. Ähnlich wie viele Westdeutsche, die in den Osten fuhren, waren wir die „reichen“ West-Verwandten, die viele Wünsche erfüllen sollten und es auch taten. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich ziemlich sauer war, als meine Cousins von meinen Eltern teure „Levis“-Jeans bekamen, ich selber aber mit den Billig-Jeans von „C&A“ herumlaufen musste. Das Markenbewusstsein war im Osten erstaunlicherweise ausgeprägter als bei uns. Mein Onkel in Gera war begeisterter Modellbauer und bekam von uns in der DDR schwer zu beschaffende elektronische Bauteile. Mein Vater ging für ihn sogar das Risiko ein, stapelweise Fachzeitschriften über die Grenze zu schmuggeln. Unsere Onkel, Tanten und Cousins verbrachten ihren Urlaub auch meist in Ahlbeck.
Auch wenn wir jedes Jahr einen Monat in der DDR verbrachten, waren die Erfahrungen über das dortige Leben eher eingeschränkt. Als West-Tourist hatte man einen ganz anderen Stand als ein DDR-Bürger. Bei Versorgungsproblemen konnte man einfach in den Intershop gehen. Zum Beispiel gab es absurderweise im Sommer an der Ostsee in der Kaufhalle oft keine alkoholfreien Getränke. Dann haben wir eben – auch zur Freude meiner Cousins – Fanta und Coca Cola besorgt. Sie waren dann aber doch enttäuscht: Die Coke war ihnen zu süß!
Am wichtigsten aber war immer die Gewissheit, nach einer bestimmten Zeit und wann immer man wollte, diesen Staat wieder verlassen zu können. Die Rückfahrt führte uns immer zu einem Zwischenstopp an der Raststätte „Magdeburger Börde“, um das restliche DDR-Geld auszugeben. Es war streng verboten, Geld in Richtung Westen mitzunehmen. Mein Vater deckte sich im Transit-Intershop mit mehreren Stangen zollfreien Zigaretten ein. Zur Grenze waren es dann noch etwa 30 Kilometer. Hinter der Grenze gaben dann alle Autofahrer Gas, als wenn sie möglichst schnell einen großen Abstand zwischen sich und der DDR herstellen wollten.
Seitenwechsel
22. Januar 1979. Nach höchstens anderthalb Stunden erreichten wir die Grenze an der gespenstischen Grenzübergangsstelle Helmstedt/ Marienborn. Die Kontrolle verlief diesmal zügig, bei diesem kalten Wetter und Schneetreiben war die Autobahn ohnehin recht leer. Wir reisten dann erst mal im Transit in die DDR ein, da wir ja spontan losgefahren waren und kein Einreisevisum besaßen. Mein Vater sagte: „Wir fahren erst mal nach Westberlin und von da aus können wir dann die Einreiseformalitäten erledigen und am nächsten Tag von dort einreisen.“ So erreichten wir ohne Komplikationen das DDR-Gebiet. Jetzt im Winter war hier alles noch grauer, düsterer und dunkler als auf unseren Sommertouren.
Die Fahrt ging also weiter Richtung Berlin; für eine kleine Pause fuhren wir an die Raststätte „Magdeburger Börde“. Mein Vater ging zu einer Telefonzelle, um zu telefonieren. Mit wem auch immer. Danach teilte er uns erfreut mit: „Wir müssen gar nicht mehr nach Westberlin rein. Wir werden bei Berlin eine Unterkunft bekommen, die Einreisepapiere werden über Nacht noch fertig gemacht. Morgen früh können wir gleich weiterfahren nach Ahlbeck!“ So einfach? Uns sollte es
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