Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
Wunde schwären, die sie einem zugefügt haben.
Gleichwohl wollte ich den Umgang mit ihr nicht abbrechen, auch nicht, daß sie heimkehrte nach Spanien, weshalb ich, wie gesagt, meine vorige Wohnung in der Rue des Filles-Dieu weiterhin zur Miete und Héloïse und Lisette im Dienst behielt, erstere, weil sie meinen Miroul über die Trennung von seiner Florine tröstete, der Gesellschafterin meiner Angelina, und die zweite, weil Monsieur de l’Etoile, der sie wegen der Eifersucht seiner Gemahlin nicht im Haus hatte behalten können, mich gebeten hatte, sie bei mir einzustellen, wo er sie täglich besuchen konnte. Gewiß beklagte ich in meinem hugenottischen Herzen die Kosten für diese zweite Wirtschaft, doch was blieb mir anderes übrig?
Am 24. Mai des Jahres 1594 erhielt ich von Madame de Guise, der Witwe des zu Blois Ermordeten, ein Sendschreiben, worin sie mich um einen Besuch in ihrem Stadtpalais bat. Daß ich mich dieses Tages und sogar der Stunde so genau entsinne, liegt daran, daß ich kurz vorher, nämlich gegen elf Uhr, als ich mich anschickte, mein Mittagsmahl einzunehmen, erfuhr, daß in der vergangenen Nacht, als eine Verirrung der Jahreszeit gleichsam, ein schrecklicher, tödlicher Frost die Weinberge um Paris getroffen und alles bis in die Wurzeln vernichtet hatte. Sofort bat ich meinen Miroul, nach den Hängen von Montmartre hinauszureiten und zu sehen, was daran sei, und als er mirdie traurige Nachricht brachte, daß dort tatsächlich nichts mehr zu retten sei, ahnte ich, daß auch unsere Rebstöcke auf Chêne Rogneux und auf La Surie verloren seien: Eine Befürchtung, die sich nur zu bald bestätigte, das Unheil hatte, wie wir im darauffolgenden Monat hörten, nahezu ganz Frankreich heimgesucht, nur nicht die Provence und das Languedoc.
Nun baute ich auf Chêne Rogneux ja nur Wein für den Bedarf meines Hauses an, und so beklagte ich den Verlust für meine Tafel nicht zu sehr, denn ich gehöre nicht zu den Jüngern der »Göttlichen Flasche«, sowohl aus natürlicher Mäßigkeit wie auch, weil ich Bacchus für den schlimmsten Feind der Venus halte und nicht verstehe, wie ein Mann so schlappschwänzig sein kann, das Vergnügen an einem Krug Wein den Wonnen vorzuziehen, welche wir auf unserem Lager mit der schönsten Hälfte der Menschheit teilen.
Dennoch begriff ich, daß dieser erbarmungslose Frost zahllose Winzer ins Elend stürzte und mit ihnen das ganze Reich, war doch Wein eine der Waren, die den Hauptteil unseres Handels mit England, Holland und Deutschland ausmachten. Es war dies also der Gipfel des Unglücks und des Schadens für unser armes Land, das durch ein halbes Jahrhundert Bürgerkrieg schon verarmt genug war.
Mit dieser Nachricht und voll der schmerzlichsten Gedanken setzten Miroul und ich uns an jenem 24. Mai zu Tisch, ziemlich schweigsam beide, und in dieser melancholischen Stimmung wurde mir von einem kleinen Laufjungen, der an meine Tür klopfte, ein wunderliches Billett überbracht:
Monsieur de Siorac,
da ich mich erinnere, wie Ihr in der Verkleidung eines Tuchhändlers auf Befehl meines königlichen Cousins während der Belagerung von Paris mich sowie die Damen Nemours und Montpensier mit Lebensmitteln versorgtet und weil ich die Geschicklichkeit, mit welcher Ihr Euch dieser Aufgabe entledigtet, sehr bewundert habe, wünsche ich, daß Ihr mich heute nachmittag besucht – falls Euch dies genehm wäre –, damit ich Euren klugen Rat in einer Angelegenheit erfragen kann, die mir sehr am Herzen liegt.
Eure sehr gute Freundin,
Catherine, Herzogin von Guise.
Dieses Billett verdutzte mich, und weil ich zunächst nicht wußte, was ich davon halten sollte, schob ich es Monsieur de La Surie hin, der es mit gewölbten Brauen las.
»Sankt Antons Bauch!« sagte er, »man muß zugeben, daß diese hohen Damen recht zivile Formen haben, Euch zu befehlen. ›Wünsche ich‹ oder ›falls Euch dies genehm wäre‹ oder ›Eure sehr gute Freundin‹.«
»›Eure sehr gute Freundin‹«, sagte ich, »ist ein gebräuchlicher Ausdruck, wenn ein Fürst oder eine Fürstin sich an einen Edelmann wendet. Wenn Heinrich III. mir einmal schrieb, unterzeichnete auch er mit ›Euer sehr guter Freund‹. Aber«, setzte ich hinzu, indem ich das Schreiben abermals überflog, »Frau von Guise ist tatsächlich sehr höflich, so dringlich, ja sogar gebieterisch ihr Hilferuf auch anmutet.«
»Aber was drängt denn so? Was will sie von dir? Und welche Angelegenheit mag das sein, die ihr so am
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