Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
doch, wer regiert denn wirklich in Reims? Ihr oder Hauptmann Saint-Paul, der noch spanischer ist als der Herzog von Feria? Und angenommen, Philipp II. hievt Euch tatsächlich auf Frankreichs Thron – wißt Ihr auch, daß er Euch dann mit seiner Tochter Clara Eugenia Isabella verkuppeln wird? Ihr werdet hispanisiert werden bis ins Ehebett, verflixt!
Qué dolor! Qué vergüenza!
1 Soll eine kastilische Möse den französischen Schwengel beherrschen? Und begreift Ihr nicht, daß diese lächerliche Wahl zum König von Frankreich Euch nichts als Neid und Haß seitens der Euren einbringen wird? Bei Eurem Onkel Mayenne, der den Thron für sich will oder wenigstens für seinen Sohn. Bei Eurer Tante Montpensier, die auf ihren Bruder Mayenne schwört. Bei Eurer Großmutter Nemours, die das Szepter für ihren Sohn Nemours haben will. Und nicht genug damit, daß Royalisten und ›Politische‹ sich lauthals über Euch lustig machen, schmäht Euch nun ungescheut auch noch die eigene Familie. Eure gute Großmutter nennt Euch einen ›kleinen Rotzbengel ohne Nase‹. Und Eure teure Tante Montpensier verbreitet, daß Ihr ins Bett scheißt, wenn Ihr mit ihren Ehrendamen schlaft.«
Diese lange Suada schmetterte die Herzogin mit einer Geschwindigkeit hervor, die mich sprachlos machte, sozusagen ohne Luft zu holen, wobei ihre blauen Augen funkelten und Wangen und Hals sich immer röter färbten.
»Was das Bettscheißen betrifft«, fuhr sie, zu Atem gekommen, leiser fort, »so ist es sogar wahr. Ein dummer Zufall,Marquis, eine Darmverstimmung, die dem Ärmsten nicht die Zeit ließ, sich zu erheben und den Nachtstuhl zu erreichen. Aber was seine Nase anlangt, Monsieur – Ihr kennt doch den Prinzen von Joinville, nicht wahr? –, ist das nicht die pure Verleumdung?«
»Unbedingt, Frau Herzogin«, sagte ich ernst. »Prinz von Joinville hat eine Nase – nicht so groß, nicht so lang und nicht so gebogen wie die Seiner Majestät, aber doch immerhin eine Nase.«
»Würdet Ihr sagen«, rief die kleine Herzogin, und ihr lebhaftes Gesicht verriet offene Besorgnis, »daß der Herzog eine Stumpfnase hat?«
»Durchaus nicht!« versetzte ich entschlossen. »Die Nase des Herzogs endet vielleicht ein wenig kurz, doch just dies gibt seiner Physiognomie etwas Liebenswertes und Gewitztes.«
»Ha, Monsieur!« sagte die Herzogin, »wie hübsch Ihr das ausdrückt!« Und indem sie dankbar niederblickte zu mir, dessen Kinn sich in Höhe ihrer Knie befand, reichte sie mir ihre Rechte, und zugleich ergötzt und gerührt von ihrer Naivität, nahm ich ihr Patschhändchen in meine großen Hände und bedeckte es mit Küssen, was die hohe Dame mit abwesender Miene zuließ, ehe sie mir ihre Finger wie verwirrt entzog und unvermittelt in ihrer leidenschaftlichen Rede fortfuhr. »Gott sei Dank«, sagte sie, »hat Charles sich gehütet, die Waffen gegen den König zu erheben, und ist nach der Champagne abgereist, um Reims wieder ganz in Besitz zu nehmen, bevor Hauptmann Saint-Paul die Garnison dort vollends hispanisieren kann. Aber reicht das, Marquis? Oh, nein, nein! Mein Sohn Charles muß sich um jeden Preis mit Seiner Majestät aussöhnen, damit er im Reich und am Hof den Platz einnehmen kann, der seinem großen Namen gebührt!«
»Madame«, sagte ich, »der Name Guise ist in der Tat groß. Er hat Widerhall in der Welt, und lange Zeit war er Stütze und Banner der sogenannten Heiligen Liga! Demzufolge wäre Seine Majestät sicherlich hocherfreut, wenn der Prinz von Joinville sich ihm anschließen würde. Indessen sollte dieser Anschluß so bald wie möglich erfolgen, ich meine, noch bevor Reims und die Champagne sich von selbst Seiner Majestät unterwerfen, über den Kopf Eures Herrn Sohnes hinweg, so daß er ohne Pfand dastünde wie zuvor.«
»Das ist es ja, wo mich der Schuh drückt«, rief die kleine Herzogin, die mir jetzt, da wir zur Sache kamen, gar nicht mehr so naiv vorkam. »Aber Ihr werdet mir doch wohl zustimmen, Marquis, daß der Herzog von Guise, wenn er dem König außer seinem Namen Reims und die Champagne mitbringt, entsprechende Entschädigungen erwarten kann?«
»Gewiß, nur sollte der junge Herzog nicht etwa so maßlose Forderungen stellen wie sein Onkel Mayenne, der für seine Unterwerfung nicht weniger als die Generalleutnantschaft verlangte! Worauf er vom König eine klare Abfuhr erhielt. Allerdings, Madame, gehen die Verhandlungen weiter, und unterwirft sich der Onkel, der immerhin eine Armee hat, könnte die Unterwerfung des Neffen
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