Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
Gespräch mit dem König entschlossen beiseite geschoben hatte, so verständnisvoll er auch darauf angespielt hatte, als er bedauerte, mich so lange meinen »häuslichen« Freuden entreißen zu müssen – jetzt packte ermich mit doppelter Macht, und vor allem mit einer Art Reue, wie wenn ich meiner großen Liebe allein schon dadurch untreu geworden wäre, daß ich im ersten Augenblick gar nicht mit Betrübnis an unsere Trennung gedacht hatte. Denn zum einen war ich überglücklich, dem König wieder in einer für ihn und das Reich hochwichtigen Angelegenheit zu dienen, zum anderen verlieh die Aussicht auf Reise und Abenteuer mir Flügel, die in meiner vorauseilenden Phantasie nicht sehr nach reinen Engelsflügeln aussahen, bei weitem nicht.
Und erlöste der Schlaf mich auch endlich von meiner Traurigkeit, erstand sie mit dem nächsten Tag doch unversehrt und bedrückte mich auf dem ganzen Weg bis zu der kleinen grünen Tür, ja bis in die Arme meiner Liebsten, in welchen ich sie zu verwinden trachtete, indem ich alle Lust ausschöpfte, die uns in zwei Tagen genommen sein würde, ohne daß meine Liebste es ahnte.
»Mein Pierre«, sagte sie, als unserem Getümmel jener köstliche Augenblick folgte, wenn der Körper gesättigt ist und das Herz freier spricht, »in Euren Augen, dünkt mich, ist etwas Grüblerisches und Melancholisches. Wißt Ihr nicht, daß Ihr um unserer Liebe willen Eure Sorgen mit mir teilen müßt?«
Weh! dachte ich, von Teilen, gerechtem Teilen, kann nicht die Rede sein, denn traf nicht sie das weit schwerere Los, wenn sie allein dasäße in ihrem Haus, während ich auf meiner abenteuerlichen Reise von den mannigfaltigsten Neuheiten abgelenkt wäre, von so vielen neuen Gegenden, Orten und Menschen, die ich zu sehen bekäme?
Das Herz hämmerte mir bei den ersten Worten, die ich mit fast erstickter Stimme, tonlos und stammelnd hervorbrachte, doch schließlich sagte ich ihr alles, wenn auch stockend, bis auf die Stadt, in die ich mich begeben sollte – meine Mission war ja geheim, auch für sie –, und ebensowenig, wie lange ich ausbliebe, weil ich es ja nicht wissen konnte.
Ha, schöne Leserin, da erlebte ich denn alles und mehr, was Sie von dieser so innigen, so leidenschaftlichen und im Leben so späten Liebe sich längst mögen vorgestellt haben: niedergeschlagenes Schweigen, steinerne Reglosigkeit, törichten Unglauben, Schreie, sinnlose Vorwürfe, Drohungen, sie wolle mich nie wiedersehen, Schwüre, sie werde sich erstechen oder in ein Kloster gehen, und nach ihrer kindischen Weise trommelteund schlug sie sogar auf mich ein, was sie dergestalt erschöpfte, daß sie wiederum in eisiges Schweigen verfiel, das sich plötzlich in eine Tränenflut löste, welcher ich meine Tränen gesellte, so sehr schmerzte mich das Leiden, das ich ihr bereitete.
»Mein Pierre«, fragte sie mit einer verzagten Stimme, die mir das Herz zerriß, »schreibt Ihr mir wenigstens?«
»Leider nein, mein Engel, es geht nicht: Ihr dürft nicht wissen, wo ich bin. Aber wenn ich Monsieur de La Surie zum König schicke, wie er es angeordnet hat, wird mein Miroul Euch ein Sendschreiben von mir überbringen, sofern Ihr versprecht, ihn nicht zuviel zu fragen oder ihm zu zürnen, wenn er nicht antworten darf.«
Sie versprach es, dann wollte sie wissen, wann ich reisen würde, erschrak, daß es so bald war, und als ich bat, sie am nächsten Tag noch einmal besuchen zu dürfen, sagte sie müde und verzweifelten Blickes, das solle ich halten, wie ich wolle: ob sie mich am nächsten Tag wiedersähe oder nicht wiedersähe, sei für sie einerlei, so sehr habe sie das Gefühl, mich schon verloren zu haben. Doch als wir uns trennten, umschlang sie mich mit einer Kraft, die ich ihren molligen Armen nicht zugetraut hätte, und flüsterte: »Bis morgen, mein Pierre.«
Um nicht in voller Winterkälte die Alpen zu überqueren, beschlossen wir, Miroul und ich, nachdem wir die Karten studiert hatten, zuerst bis Marseille und dann längs der Küste zu reisen: ein langer Umweg, aber hübsch und angenehm durch die milde Luft. Doch an der Verköstigung haperte es, weil es wegen des unfruchtbaren Gestades wenig Fleisch gab, bis auf Ziege und Lamm, gar keine Milch, Butter und Käse und lange nicht so viel Brot, wie wir wollten. Nur Fisch fanden wir reichlich, frisch und saftig, aber der war bei unserer Eskorte wenig beliebt, die sich beklagte, wir »hielten sie mager«.
Wir glaubten stark genug zu sein, um von Räuberbanden gemieden zu
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