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Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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werden. Doch eine oder zwei Meilen hinter Nizza, einem hübschen kleinen Hafen am Mittelmeer, hörten wir vor uns auf dem Weg großes Geschrei, wütendes sowohl wie verzweifeltes. Und weil wir aus letzterem französische Wörter zu vernehmen meinten, gaben wir die Sporen und galoppierten mitten in ein wüstes Treffen von etwa zwanzig kunterbunt bewaffnetenStrauchdieben und ebenso vielen Pilgern, die sich in arger Lage befanden, weil unter ihnen fünf oder sechs Frauenzimmer waren, die zwar Dolche hatten, wie meine Schwägerin, Dame Gertrude de Luc, einen im Gürtel zu tragen pflegte, doch im Unterschied zu Gertrude getrauten sich die armen Fräulein nicht, diese zu benutzen, weil sie wohl weniger für ihr Leben als für ihre Tugend fürchteten.
    Der Hinterhalt war schlau gelegt und der Ort gut gewählt, denn die Landstraße von Nizza nach Genua verlief hier zwischen schroffen Felsen zur Linken und einer steilen und steinigen Schlucht zur Rechten, die jäh abfiel zum Meer. Und die italienische Bande, die den Weg durch Felsbrocken versperrt und die Wallfahrer von hinten überfallen hatte, schnitt ihnen jeglichen Rückzug ab, wenn sie nicht in den Tod stürzen wollten.
    Nicht, daß mehrere Männer der Pilgerschar sich nicht tapfer verteidigt hätten, namentlich ein langer Kerl von Priester, der mir den Rücken kehrte und der, als wir eintrafen, mit seinem langen Degen am nicht minder langen Arm treffliche Hiebe und Stiche jedwedem versetzte, der ihm zu nahe kam.
    »Beim Ochsenhorn, Monsieur! Haltet durch!« schrie ich, indem ich mit einem Pistolenschuß einen Strolch erlegte, der von der Straßensperre her mit seiner Arkebuse auf ihn zielte. Doch bei unserem Anblick von unserer Anzahl, unseren Waffen, unseren starken Pferden erschrocken, ergriff das Gros der Lumpen die Flucht und glitt mit fabelhafter Behendigkeit den steinigen Hang abwärts, der zum Meer führte, vielleicht um eine Barke zu besteigen, die, von oben unsichtbar, in einer Bucht wartete.
    Monsieur de La Surie hätte dem überstürzten Rückzug gern eine tüchtige Schießerei nachgeschickt, doch ich wollte es nicht. Zwei der Pilger waren verletzt, einer sogar ziemlich schwer, und was die Bande anging, so hinterließ sie auf dem Weg einen Toten, von ihren Verwundeten ganz zu schweigen, denn auf den Steinen der Schlucht, über die sie geflohen waren, glänzten düstere Blutspuren im Sonnenlicht. Ich verband die Verletzten, ließ allen Wasser ausschenken und befahl, den Toten auf ein Maultier zu binden, um ihn auf dem nächsten Dorfkirchhof zu begraben.
    Da kam Pissebœuf zu mir.
    »Moussu«, sagte er auf okzitanisch, »die Schnapphähne hissen da unten eine weiße Fahne.«
    Tatsächlich, am Hang der Schlucht, hinter einem Felsen hervor, wurde ein weißgrauer Lumpen geschwenkt, ohne daß jemand sich zeigte.
    »Was wollt ihr?« rief ich auf italienisch.
    »Gnädiger Herr«, antwortete eine Stimme, »wir bitten Euch um die Erlaubnis, unseren Toten zu holen.«
    »Das ist eine List«, sagte La Surie auf okzitanisch. »Ich würde diesen Burschen nicht trauen.«
    »Kommt zu zweit«, rief ich, »ohne Waffen.«
    Hierauf hieß ich am Rand der Schlucht zehn Arkebusiere mit gezündeter Lunte in einer Reihe niederknien und die Landstraße rückwärts und vorwärts von gleich starken Truppen bewachen. Auch lud ich meine beiden Pistolen neu, Monsieur de La Surie ebenso.
    »Gnädiger Herr«, rief wieder die Stimme, »habe ich Euer christliches Ehrenwort, daß wir unbeschadet und unversehrt kommen und gehen?«
    Dieses »christlich« aus dem Mund eines Galgenvogels machte mich schmunzeln.
    »Du hast es«, rief ich, »im Namen aller Heiligen und der gebenedeiten Jungfrau! Aber spute dich! Wir können nicht länger warten!«
    Nun kamen hinter dem Felsen zwei Männer hervor, die den steilen Hang mit bewundernswerter Geschwindigkeit erklommen, während ich, meine beiden Pistolen in Händen, sowohl sie als auch die Umgebung im Auge behielt und Pissebœuf und Poussevent den Leichnam vom Maultier losbanden und auf dem Weg niederlegten.
    Inzwischen tauchten die zwei Männer in unserer Mitte auf, und der eine, anscheinend der Anführer, sah sich mit scharfem Blick, doch keineswegs angstvoll um, dann trat er ohne Zaudern auf mich zu und grüßte.
    »Gnädiger Herr, vielen Dank für Eure Großmut. Catilina ist mein Name«, setzte er mit einer Würde hinzu, als müßte mir sein Brigantenname bekannt sein.
    »Signor Catilina«, sagte ich, »ich hätte Euch lieber bei anderer Gelegenheit

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