Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
kennengelernt.«
»Das bringt der Krieg mit sich«, sagte Catilina mit derselben edlen Schlichtheit.
Es war ein Mann von mittlerer Statur, die große Energie undKraft verriet, mit schwarzen Haaren und dunkler Haut, doch das Gesicht war frei und offen, und ich dachte, daß der Aristokrat des antiken Rom, dessen Namen er trug, nicht viel anders mochte ausgesehen haben.
»Signor Catilina«, sagte ich, »Ihr habt Euer Leben gewagt, indem Ihr mir vertrautet. Der Kamerad, dem unser Scharmützel zum Verhängnis wurde, muß Euch teuer sein.«
»Er war mein Bruder«, sagte Catilina, die Lider senkend, »und die Ehre gebietet mir, seinen Leichnam in mein Dorf heimzuführen.«
Hiermit kniete er vor dem Toten nieder im Staub und legte weinend die Hände aneinander zum Gebet, so gesammelt und so voller Kummer, daß alles schwieg, die Pilger ebenso wie unsere Soldaten.
Dann erhob sich Catilina und bat mich mit derselben würdigen Ungezwungenheit, mit der er alles machte, zu erlauben, daß der Herr Abbé aus der Pilgerschar ein kurzes Gebet für seinen Bruder spreche.
Womit er auf jenen langen Priester zeigte, der so wacker gekämpft hatte und der in einiger Entfernung beschäftigt war, seinen blutigen Degen an einem Strauch zu reinigen. Der Geistliche schien Italienisch zu verstehen, denn er horchte bei Catilinas Worten auf, steckte seine Klinge ein und sagte mit wohlklingender Stimme: »Gern, mein Sohn.«
Worauf er sich umwandte, und verblüfft erkannte ich Fogacer.
Es war nicht leicht, in Genua einen Gasthof zu finden, der groß genug war, sowohl unsere Eskorte als auch die Wallfahrer aufzunehmen, denn diese waren durch den Überfall so verschreckt, daß sie gefleht hatten, sich unserer Gesellschaft anschließen zu dürfen bis Rom, was ich um so lieber gewährte, als ich wünschte, daß Fogacer bei mir bliebe, um unserer alten und unwandelbaren Freundschaft willen, vor allem aber, weil ich darauf brannte zu erfahren, was es mit seiner Reise auf sich habe.
Es ist in Italien wie in Frankreich: Für fünf Sous steckt einen die Wirtin zu mehreren in dieselbe karge Kammer und womöglich in ein und dasselbe Bett. Für einen Taler erhält man ein Gemach wie ein Bischof, dazu ein gesondertes Speisezimmer, abseits des lärmenden Wirtssaals. Und legt man, wie ich, nochfünfzig Sous obendrauf, wird einem ein Badezuber gebracht, und während man seine Mahlzeit einnimmt, füllen ihn zwei schmucke und kräftige Mägde mit dampfendem Wasser.
Ich war nach dem Tohuwabohu des Tages so müde und des Alleinseins so bedürftig, daß ich mein Lager nicht mit Monsieur de La Surie teilen mochte (während der ehrwürdige Pater Fogacer gerade darauf bestand, das seine mit seinem jungen Begleiter zu teilen). Doch schuldete ich es der Freundschaft, gemeinsam mit ihnen das Brot in dem kleinen Speisezimmer zu brechen, wo Pissebœuf und Poussevent uns der Stiefel entledigten und wir ausgehungert und wie zerschlagen in den Lehnsesseln hingen und tüchtig dem Fleisch und dem Wein zusprachen.
Da es schon spät war, brachte die dicke Wirtin unsere Nachtlichter und stellte sie auf den Tisch mit der Mahnung, nicht zu lange beim Essen zu säumen, denn sie könne uns keine neuen Kerzen aufstecken, daran sei sie knapp.
Und weil man in dem helleren Licht jetzt besser sah, fiel mir am Gesicht von Fogacers jungem Akoluthen etwas auf.
»Monsieur«, erlaubte ich mir zu sagen, »ich kenne in Paris eine kleine Kammerfrau, die bei einem ehrwürdigen Doktor der Medizin, einem Freund von mir, dient und die Euch frappierend ähnlich sieht: das gleiche Oval, die gleichen Augen, der gleiche Erdbeermund, sogar das gleiche bartlose Kinn …«
»Herr Marquis«, sagte wimpernschlagend der Knabe, »das kann nicht verwundern, ist jene doch meine Zwillingsschwester Jeannette. Was mich angeht, so heiße ich Jeannot.«
»Wie hübsch, Jeannot«, sagte ich und äugte nach Fogacer, der dem Dialog mit gesteilten Brauen über den nußbraunen Augen lauschte, ohne einen Ton von sich zu geben. »Da Ihr dem Herrn Abbé Fogacer so trefflich zur Hand geht und weil Eure gute Miene mir gefällt, sollt Ihr an meinem Tisch bis ans Ende der Reise stets willkommen sein.«
»Besten Dank, Herr Marquis«, sagte Jeannot. »Eure Herablassung gegen mich vermehrt die Dankbarkeit, die ich Euch ewiglich bewahren werde, dafür, daß Ihr dem Herrn Abbé Fogacer das Leben gerettet habt und wahrscheinlich auch mir.«
»Sofern dir, mein Kind«, sagte Fogacer mit seinem langsamen, gewundenen
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