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Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)

Titel: Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Merle
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ihr soviel leichter gefallen wäre, dann erst recht nicht hier unter den wieselflinken Blicken der Mönche, die wie hundert Argusaugen wachten! Zumal der Ärmsten die Gruft des Escorial ja nichteinmal zu genügen schien, so daß sie sich sogar noch tiefer in einem Kloster begraben wollte.
    Mein Wunsch, den Escorial auf immer hinter mir zu lassen, wurde immer stärker, und ich eröffnete mich hierüber Don Luis.
    »Hütet Euch abzureisen«, entgegnete er gedämpft, »bevor der König seine Seele nicht, Ihr wißt schon wem, anheimgegeben hat. Ihr würdet den König, den Kronprinzen und die Granden tödlich beleidigen, denn Euer Aufbruch würde heißen, daß Ihr seinen Tod für unausweichlich anseht, was sich hier niemand offen einzugestehen wagt, höchstens sich selbst im stillen Kämmerlein seines Herzens.«
    La Surie und Fogacer stimmten Don Luis bei, und widerwillig entsagte ich meinem Plan, der mir, ehrlich gestanden, selbst nicht sehr klug erschienen war. Eines Tages nun fand Fogacer Gelegenheit, den Leibarzt, Don Juan Gómez, über das Ergehen des Königs zu befragen, und das Ergebnis berichtete er mir in meinem Zimmer.
    »Es geht ihm sehr schlecht«, sagte er. »Er hat starkes Fieber. Die Gliedmaßen sind steif, verzerrt, geschwollen und schmerzen. Im linken Oberschenkel, wenig überm Knie, hat sich eine Geschwulst gebildet. Man hat sie geöffnet, und ständig entfließt ihr Eiter. Zudem wird er stumpfsinnig behandelt: Man gibt ihm nichts zu trinken. Diese Esel von Medizinern sind der Auffassung, je schlimmer man den Patienten quält, desto besser für ihn. Als ob er noch nicht genug hätte an seinen Leiden, verabreichte man ihm jüngst eine gezuckerte Bouillon, von der er unstillbaren Durchfall bekam. Und weil er jedesmal gellend aufschreit, wenn man ihn anrührt, verzichtet man darauf, seine Laken zu wechseln, und so liegt er denn fest in seinem Unflat und seinem Eiter … Ich meine, daß man ihn trotz seiner Schreie umbetten müßte. Doch niemand wagt es. Noch ist er der König, und er weigert sich hartnäckig. Was bei einem so reinlichen Menschen unfaßbar erscheint.«
    »Warum, glaubt Ihr, weigert er sich?«
    »Ich nehme an, er will sich durch seinen eigenen Gestank kasteien. Er denkt einzig nur an sein Seelenheil, betet unablässig und fordert Gebete von allen. Er läßt sich sämtliche Heiligenreliquien, eine nach der anderen, vor Augen führen, befiehlt, ihm alle heiligen Texte zu lesen, in denen es um die göttliche Vergebung geht, und lauscht inbrünstig seinem Beichtvater, der ihmdie Klagen Hiobs auf seinem Misthaufen vortragen muß. Kennt Ihr sie,
mi fili

    »Ich habe sie mal gelesen.«
    »Aber die Fäulnis und Verwesung aber, in welcher der Unglückliche dahinsiecht, ist so heftig, daß Geistliche und Ärzte gegen die Ohnmacht ankämpfen müssen, wenn sie ihm nahen, und ihm selbst schwinden immer wieder vor Ekel die Sinne.«
    »Ein so großer Verbrecher er auch sein mag«, sagte ich schließlich, »kann ich mich doch des Mitleids nicht erwehren.«
    »Ich auch nicht,
mi fili
«, sagte Fogacer, »und gleichzeitig schäme ich mich für dieses Gefühl. Was dieses Mannes absolute Macht an Tod, Mord, Verderben und Leiden über Europa und Amerika gebracht hat, spricht gegen ihn.«
    »Hat man ihm enthüllt, daß sein Ende bevorsteht?«
    »Der Schrecken, den er noch immer einflößt, ist so groß, daß keiner der Ärzte die Worte auszusprechen wagt, sie haben seinen Beichtvater, Fray Diego de Yepes, damit beauftragt, und sogar er zögert noch, obwohl sein Kleid ihn schützt.«
    Es mag fünf, sechs Tage nach diesem Gespräch gewesen sein, als es gegen zehn Uhr abends an meine Tür klopfte. Ich öffnete und sah vor mir einen Mönch, der sein Gesicht unter einer dunklen Kapuze verbarg.
    »Herr Marquis«, murmelte er, »wollt Ihr mich gnädigst einlassen?«
    »Bitte sehr, Pater«, erwiderte ich, ziemlich verwundert.
    Und um ihn hereinzuführen, faßte ich den Mönch beim Arm (der mir dünn vorkam), geleitete ihn zum einzigen Lehnstuhl meines Zimmers – oder sollte ich eher Zelle sagen? – und bot ihm nicht ohne Ehrfurcht Platz. Doch da er seine Kapuze aufbehielt und sich dem Licht der einzigen Kerze entzog, die auf einem Tischchen neben dem Lehnstuhl brannte, wurde ich mißtrauisch, zumal er beide Hände in den Ärmeln seiner Kutte steckenließ. Könnte er, dachte ich plötzlich, nicht jäh ein Messer zücken wie Jacques Clément? Zwar wußte ich gegenwärtig keinen Grund, weshalb mich jemand ermorden

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