Der Tag bricht an: Roman (Fortune de France) (German Edition)
Schmunzeln.
»Sire«, sagte beflissen der Prior, wie um den Frevel auszuwetzen, daß er seine Basilika nicht so rein und makellos gehalten hatte, wie er sollte, »wir bekamen soeben eine Reliquie vom heiligen Vincente Ferrer herein und eine vom heiligen Sebastian. Wollt Ihr sie sehen?«
»Mit Freude und Verehrung«, sagte Felipe matt, anscheinend hatte die Entrüstung, die er beim Anblick der Spinne verspürte, seine Kräfte erschöpft.
Der Prior brachte ein sorglich verschnürtes Bündel herbei, das er so ungeschickt aufzuknüpfen begann, daß ein Edelmann des Königs, der die Ungeduld Seiner Majestät gewahrte, ihm helfen wollte. Doch mit einem Zornesrunzeln gebot Felipe ihm Einhalt, so als würde jener ein Sakrileg begehen, und hieß mit einer Geste seinen Beichtiger, dem linkischen Prior beizuspringen. Endlich war das Paket geöffnet, und zum Vorschein kam ein langer gelblicher Knochen, der mir aus der Entfernung ein Humerus, ein Oberarmbein, zu sein schien.
»Sire«, sagte der Prior mit tiefer Verneigung, halb vor dem König und halb vor der Reliquie, »dies ist der Arm des heiligen Vincente Ferrer.«
»Der rechte oder der linke?« fragte der König, indem er den Humerus voller Respekt in seinen gichtverkrüppelten Händen drehte und wendete.
»Sire, ich weiß es nicht genau«, sagte der Prior mit unendlich betretener Miene.
»Don Juan Gómez?« fragte Felipe den Leibarzt.
Don Juan Gómez näherte sich dem Humerus und betrachtete den Knochen, ohne ihn zu berühren.
»Der rechte, Sire«, sprach er feierlich.
Nun, ich hatte das Gefühl, daß er sich täuschte, was sich mir später bestätigte, als ich die Reliquie von nahem sah. Doch Felipe befahl: »Schreibt auf das Schild: Rechter Arm des heiligen Vincente Ferrer«, den Irrtum des Don Juan Gómez verewigend.
Die zweite Reliquie war kleiner, ein Knochen vom Knie des heiligen Sebastian, jenes Heiligen, den Seine Majestät ganz besonders verehrte, weil er meinte, infolge der Gicht in seinen Gliedmaßen ebenso stechende Schmerzen zu verspüren wie einst der von Pfeilen Durchbohrte.
»Herr Prior«, sagte er, »ich will, daß diese beiden Reliquien in das Repositorium kommen, ich will sie in meiner Zelle immer vor Augen haben … Ich sage Euch noch, wie Ihr die anderen Reliquien, die ich hier sah, auf die einzelnen Kapellen der Basilika aufteilen sollt.«
Hierauf gewahrte er zum erstenmal Don Cristóbal und mich, oder er tat so, winkte mit seiner verkrüppelten Hand den Großkämmerer heran, sprach ihm etwas ins Ohr, und als dieser eifrig nickte, hieß er ihn mit lauter Stimme, mich herbeizuholen. Ich näherte mich also gesenkten Kopfes dem Tragebett und fiel ins Knie, worauf Felipe sich entschuldigte, mir seine Hand nicht zum Kuß darbieten zu können, weil sie zu sehr schmerze.
»Marqués«, sagte er leise, aber deutlich vernehmbar, »seid Ihr als ständiger Gesandter gekommen oder als Sondergesandter?«
»Als Sondergesandter, Sire, ich bin bevollmächtigt, Euch den Standpunkt meines Herrn und Königs Heinrich IV. in der Affäre der Markgrafschaft Saluzzo darzulegen.«
»Ich höre«, sagte Felipe, und seine hellen Augen hafteten an meinem Gesicht.
Ich stellte ihm das Problem in bündigen Formulierungen dar, die ich mit Fogacers Hilfe in gutes Kastilisch gefaßt und die ganze Zeit geübt hatte.
»Marqués«, sagte Felipe hierauf, »die Markgrafschaft Saluzzo war seit ihrer Gründung 1142 ein ständiger Zankapfel zwischen Österreich, dem Herzogtum Savoyen und der französischen Krone und nacheinander allen drei Ländern zu Lehen, bis König Heinrich II. von Frankreich sie annektierte. Mein Schwiegersohn, der Herzog von Savoyen, kann folglich behaupten, er habe das Anrecht Savoyens auf die Grafschaft lediglich wiederhergestellt, als er sie 1588 besetzte. Deshalb, Marqués, hat es bei den Friedensverhandlungen zu Vervins in diesem Punkt keine Einigung mit Eurem Land geben können.«
Wiewohl Felipe mit schwacher Stimme und sehr müdem Ausdruck sprach, konnte ich doch feststellen, daß er seinen Verstand voll beisammen hatte und ebenso seinen Haß, denn er sagte »französische Krone« und »Euer Land«, ohne meinen Herrn einmal beim Namen zu nennen, der in seinen Augen auch durch die päpstliche Absolution von der Sünde der Ketzerei vermutlich nicht reingewaschen war.
»Im übrigen«, fuhr Felipe fort, »ist Seine Heiligkeit um einenSchiedsspruch ersucht worden, den sie jedoch ablehnte, was wohl beweist, daß das Recht in dieser Affäre zweifelhaft
Weitere Kostenlose Bücher